Tag 23 der Reise, von Hollabrunn nach Stockerau, 29 km

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Es gibt Geschäftsmodelle, die sind unglaublich: stellen Sie sich vor, Teile Ihres Finanzamtes werden zur Pension umgebaut. Sie wundern sich als Gast über ein merkwürdiges Interieur, seltsam unmotiviert agierendes Küchenpersonal, Lärm in aller Frühe, komische Zettel zu Veranstaltungshinweisen…. So in etwa müssen Sie sich das Sport- und Kongresshotel Hollerau vorstellen. Es ist am Stadtrand integriert in ein Monster von Neubau, das von weitem aussieht wie eine Fabrik. Offenbar zu groß gebaut für die hier sitzende Bundesbehörde, hat man in das Gebäude ein Leistungssportzentrum für Jugendliche und eben dieses Hotel mit aufgenommen, daneben noch diverse Büroflächen vermietet. Das krasseste ist der Speisesaal, der eben das Betriebskantinenimage nicht vertuschen kann. Immerhin, das Quartier war nicht teuer.

Heute bin ich bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt losgelaufen. Meine dicke Jacke habe ich jedoch bald bereut, als ich im Supermarkt stand, wo ich mich noch schnell mit Bananen, Energieriegeln, Nüssen und Schokolade eingedeckt habe. Im Wald lief ich schon im Hemd, gegen Mittag dann nur mit T-shirt. Eine Hose hatte ich selbstverständlich auch an. Kurz nach Hollerau, im eingemeindeten Dörfchen Raschala ging ich zunächst durch die „Alte Poststraße“ und fand dann tatsächlich eine Tafel, auf der erwähnt wurde, dass es sich um die Verbindung Pag – Wien handelte. Mozart soll am Rand des Dorfes zum Pissen ausgestiegen sein, als er zu einer Tournee nach Prag fuhr. Also wird auch Seume hier langgegangen sein. Die Straße nimmt zwischen alten Pressenhäusern und den Portalen der Weinkeller kaum vier Meter ein. Im Wald wurde sie dann noch schmaler, bis ein etwa zwei Meter breiter Hohlweg übrig blieb. Aber wer weiß, ob die Straße nach dem Verlust ihrer Bedeutung nicht einfach nach und nach zugewachsen ist. Auf jeden Fall lässt sich hier belegen, dass Seumes weg hier nicht durch die Autobahn überbaut wurde, dass er so wie ich die Höhen rauf und runter marschieren musste.

Das klare Wetter bescherte mir wieder schöne Fernsicht von den Hügeln in die Umgebung. Ein Stück musste ich neben der Autobahn gehen, dann aber vor allem Feldwege, die ich noch vor drei Tagen verflucht hätte, als alles durch den Regen aufgeweicht war. Es werden hier Kartoffeln, Mais, Rüben und erstaunlich viel Kürbis angebaut. Erst dachte ich, dass Kürbis hier vielleicht als Zwischenfrucht dient, bis mir klar wurde, dass man offenbar nur an den Kernen interessiert ist. Man sieht Felder, auf denen Massen vor Kürbissen herumliegen, dann wieder Felder, auf denen die Kürbisse in lagen Reihen liegen, so dass sie von Maschinen aufgenommen werden können, und schließlich Felder, auf denen braun verfaulte Kürbisschalen herumliegen.

Der Blick in die Ferne bedeutet mir viel. Nicht nur, dass das gut für die Augen ist. Er vermittelt auch ein Gefühl von Freiheit. Alles scheint unendlich. In Berlin gehe ich manchmal zur nahegelegenen Brücke der Autobahn, weil es der einzige Ort ist, von dem ich den etwa 10 km entfernten Fernsehturm sehe und große Wolken am Himmel, manchmal den Widerschein des Sonnenuntergangs. Diese weiten Blicke habe ich nun den ganzen Tag, dazu Wind und die verschiedensten Gerüche. Das fängt morgens an mit dem Geruch der nassen Wiesen, wenn alles vom Tau nass ist. Dann riecht man die verschiedenen Felder, faules Obst und den Geruch von Gärung oder Chlor, der aus den Weinkellern weht. Oft rieche ich Vieh oder Ställe, bevor ich entsprechendes sehe. Ja, ich bin ein „Nasenmensch“. Aber offenbar schärft die frische Luft diesen Sinn.

Heute habe ich am Nachmittag fast drei Stunden Podcasts gehört. Auf den Feldern verträgt das Ohr etwas Ablenkung, denn ich muss nicht auf Autos achten. Also mal wieder „Lage der Nation“ und „Essay und Diskurs“.

Stockerau ist leider von Autobahnen umgeben und von gnadenlosen Verkehrsströmen durchzogen. Dabei hat die Stadt schöne Altbausubstanz zu bieten. Die billigen Quartiere waren ausgebucht, es sind viele Radfahrer unterwegs, so dass ich heute in ein nicht ganz so preiswertes Hotel einchecken musste. Aber morgen Abend bin ich in Wien, und zu meinem dortigen Quartier gibt es eine besondere Geschichte. Vor drei Jahren habe ich mir mit meiner Gattin ein verlängertes Wochenende in Wien gegönnt, und wie so oft haben wir unser Quartier über homeexchange.com organisiert. Diesmal nicht im synchronen Tausch, sondern mit „Gästepunkten“. Karl hat uns sein fantastisches Apartment zur Verfügung gestellt, aber er war gerade mit Mann in Australien und alles lief digital ab aus der Ferne mittels Schlüsselsafe und elektronischer Zugangskontrolle. Karl habe ich vor einigen Tagen geschrieben und angefragt, ob ich erneut Quartier haben darf, denn ich erinnerte mich, dass die beiden auch Gästezimmer vermieten. Leider werde ich Karl auch diesmal nicht sehen, denn er ist gerade in Amerika. Aber er hat mir für einen absoluten Freundschaftspreis ein Zimmer offeriert. Es ist fantastisch, weil die Lage einfach toll ist, das Haus auch. Schade, dass ich Karl und Co. nun immer noch nur noch aus E-mails und Telefonaten kenne. Aber ich sehe mich bestätigt in meiner Überzeugung, dass es toll ist, wenn man sich einfach so vertraut und so auf der ganzen Welt ein kleines Netzwerk bauen kann. Also auch an dieser Stelle herzlichen Dank an Karl und Co., und durch diese schöne Geste gehen weitere 80 € in den Topf für die Ukraine. Wirf doch auch mal was rein! Schreib mir ne E-Mail, wenn du dazu Fragen hast, lesende Person.

Hier die Wanderung auf Komoot:https://www.komoot.de/tour/934289632?ref=wtd

Blick auf Hollerau und Teile des „Komplexes“
Die alte Poststraße in Raschala mit Presshäusern der Weinbauern
Die alte Porststraße im Wald
Auf den Feldern vor Güllendorf
Der Markt von Güllendorf mit der Pestsäule aus dem 18. Jahrhundert
An der Autobahn nach Wien
In der kleinen Kerbe am Horizont liegt Wien.
Am Ortseingang von Stockerau.
Shopping
An der Hauptstraße in Stockerau.
2 different levels of deco.
autogerecht in Stockerau
Das Haus mit dem Turm ist eine alte Poststation. Hat Seume hier aus dem Fenster gekotzt?

There are business models that are unbelievable: imagine parts of your tax office being converted into a guesthouse. You wonder as a guest about a strange interior, kitchen staff acting strangely unmotivated, noise at the crack of dawn, strange notes on event notices…. That’s more or less how you have to imagine the Hollerau Sports and Congress Hotel. It is integrated on the outskirts of town in a monster of new construction that looks like a factory from afar. Apparently built too large for the federal authority located here, a competitive sports center for young people and this very hotel have been included in the building, along with various office spaces rented out. The most glaring thing is the dining hall, which cannot hide the image of a company canteen. After all, the neighborhood was not expensive.

Today I started walking in temperatures just above freezing. However, I soon regretted my thick jacket when I was in the supermarket, where I quickly stocked up on bananas, energy bars, nuts and chocolate. In the forest I ran already in the shirt, against noon then only with T-shirt. Of course I also had pants on. Shortly after Hollerau, in the incorporated village of Raschala, I first walked through the „Alte Poststraße“ and then actually found a board on which it was mentioned that it was the connection Pag – Vienna. Mozart is said to have gotten off to piss at the edge of the village when he went to Prague for a tour. So Seume will also have gone this way. The road barely takes four meters between the old press houses and the portals of the wine cellars. Then in the forest it became even narrower until a hollow way about two meters wide remained. But who knows if, after losing its importance, the road did not simply grow over little by little. In any case, it can be proven here that Seume’s way here was not overbuilt by the highway, that he had to march up and down the heights as I did.

The clear weather gave me again beautiful distant views from the hills to the surrounding area. A piece I had to walk next to the highway, but then mainly field paths, which I would have cursed three days ago, when everything was soaked by the rain. Potatoes, corn, beets and an amazing amount of pumpkin are grown here. At first I thought that pumpkin might be an intercrop here, until I realized that they are apparently only interested in the seeds. One sees fields where masses lie around in front of pumpkins, then again fields where the pumpkins lie in rows so that they can be picked up by machines, and finally fields where brown rotten pumpkin skins lie around.

Looking into the distance means a lot to me. Not only is it good for the eyes. It also gives a sense of freedom. Everything seems infinite. In Berlin, I sometimes go to the nearby bridge of the highway, because it is the only place from which I can see the TV tower, about 10 km away, and big clouds in the sky, sometimes the reflection of the sunset. These wide views I have now the whole day, in addition wind and the most different smells. It starts in the morning with the smell of the wet meadows, when everything is wet from dew. Then you smell the different fields, rotten fruit and the smell of fermentation or chlorine wafting from the wine cellars. I often smell livestock or barns before I see appropriate ones. Yes, I am a „nose person.“ But apparently the fresh air sharpens that sense.

Today I listened to almost three hours of podcasts this afternoon. In the fields, the ear tolerates some distraction, because I do not have to watch for cars. So once again, „State of the Nation“ and „Essay and Discourse.“

Stockerau is unfortunately surrounded by highways and crisscrossed by merciless traffic flows. Yet the city has beautiful old buildings to offer. The cheap quarters were fully booked, there are many cyclists on the road, so I had to check into a not so cheap hotel today. But tomorrow night I’ll be in Vienna, and there’s a special story about my quarters there. Three years ago I treated myself to a long weekend in Vienna with my wife, and as so often we organized our quarters through homeexchange.com. This time not in synchronous exchange, but with „guest points“. Karl offered us his fantastic apartment, but he was just in Australia with his husband and everything was done digitally from a distance via key safe and electronic access control. I wrote to Karl a few days ago and asked if I could have quarters again, because I remembered that they also rent out guest rooms. Unfortunately, I won’t see Karl this time either, because he is in America right now. But he offered me a room for an absolute friendship price. It’s fantastic, because the location is just great, the house too. It’s a pity that I still only know Karl and Co. from e-mails and phone calls. But I see myself confirmed in my conviction that it’s great when you just trust each other so much and can build a small network all over the world. So also at this point many thanks to Karl and Co., and through this nice gesture another 80 € go into the pot for the Ukraine. Throw something in too! Write me ne E-Mail, if you have questions to it, reading person