Alarm

Mitten in der Arbeit im Institut heute der erste Luftalarm seit unserer Ankunft. Ich habe das nur zufällig bei einem Blick auf mein Telefon bemerkt. Irgendwelche Sirenen waren nicht zu hören. Ein wenig zögernd haben wir das Wichtigste geschnappt und sind runter in den Keller gegangen. Dort saßen bereits zwei alte Frauen in Wintermänteln, offenbar aus den Häusern in der Umgebung, denn sie wirkten nicht so, als würden sie hier im Institut arbeiten. Nach und nach kamen weitere Schutzsuchende. Man unterhielt sich entspannt oder telefonierte. Wütend waren eigentlich nur die alten Frauen. Von den jungen Leuten im Institut kam niemand.

Das erzählten auch Dimitri und Xenia gestern, dass man irgendwann genervt ist von ständigen Alarmen und sich auf die Wahrscheinlichkeitsrechnung verlässt. Zumindest in Kyiv ist das Risiko, bei einem Autounfall ums Leben zu kommen, statistisch höher, als durch russische Raketen geschädigt zu werden – dank einer hervorragenden Luftabwehr.

Trotzdem, offenbar nehmen die Russen nun Kyiv wieder ins Visier. Warten wir die nächsten Tage ab. Aber, liebe Leser des Blogs, wir verhalten uns weiter vorsichtig.

Es gibt noch einen Nachtrag zum Gespräch mit Dima und Xenia gestern. Ich hatte gefragt, was wohl passiert, wenn nach dem Sieg über die Russen die 800.000 Männer, die jetzt an der Front sind, den 800.000 gegenüberstehen, die jetzt im Ausland abwarten. Die Antwort war interessant:

„Wir haben keine Gesellschaft, in der sich die Lager und Klassen in Hass gegenüberstehen. Es gibt auch nicht so ein schlimmes Wohlstandsgefälle wie in Russland. Auf dem Maidan haben alle gegen Janukowitsch zusammengestanden – vom Arbeiter bis zum Intellektuellen. Die ukrainische Gesellschaft ist dialogfähig. Und wir werden auch die unterschiedlichen Haltungen, die jetzt im Krieg zutage treten, vernünftig verhandeln.“