Freunde, Filme, Arbeit

Zeit, einmal etwas allgemeiner zu Kyiv zu schreiben. Die Leute sind, was die Freundlichkeit, Unkompliziertheit und Herzlichkeit betrifft, den Italienern ebenbürtig. Es gibt auffallend viele junge Leute, aber relativ wenig Kinder, was gewiss dem Umstand entspricht, dass viele Mütter vor den Russen in die Nachbarländer geflohen sind. Das Leben in der Stadt pulsiert, als gäbe es den Krieg nicht. Die Restaurants müssen um 22 h schließen, sind aber trotzdem oft bis auf den letzten Platz besetzt. Auch sonst geht die Zeit bis zur Sperrstunde um 24 h rasend schnell vorbei. Jeder muss dann ab etwa 23 h ein Taxi finden oder die letzte Metro erwischen. Dennoch sind die Leute draußen, viel in der Stadt unterwegs.

Wenn gefeiert und getrunken wird, Ausstellungen eröffnet werden, hat das immer etwas Trotziges. Aber es gibt auch Berichte über schwer Verwundete oder Gefallene im Bekanntenkreis, Berichte über Verrat und zerbrochene Freundschaften. Der Fahrer unseres Autos heute meinte, der Krieg gegen Russland könne nicht gewonnen werden. Zugleich verlangte er, dass die Krim wieder ukrainisches Gebiet werden müsse.

Kyiv ist voller Autos und leider auch so gebaut. Der Nahverkehr ist langsam und längst nicht so engmaschig wie in Berlin. Fast immer ist Stau auf wichtigen Straßen. Für Behinderte gibt es kein Durchkommen, wenn sie auf einen Rollstuhl angewiesen sind.

Die ganze Anmutung des Lebens ist sehr modern. Nur wenig wirkt ärmlich und dann oft nicht ärmlicher als in Italien oder Frankreich auch. Es gibt Luxus aller Art und der wird nicht versteckt.

Freitag und Samstag waren Ateliertage. Abends jeweils Vernissagen und Treffen mit Freunden. Am Sonntag habe ich morgens endlich mit dem Soundtrack angefangen. Norman hielt Ausschau nach einem möglichen Standort für die Skulptur, an der wir bauen. Heute früh haben wir uns dann für eine Brache in der Nähe unseres Quartiers entschieden.

Am Sonntagnachmittag waren wir zu einer Filmpremiere eingeladen. Es lief ein Dokumentarfilm über eine kleine Gruppe Freiweilliger, die darauf spezialisiert sind, die letzten Ausharrenden aus beschossenen Dörfern zu evakuieren. Das sind oft Alte, bis zuletzt Hoffende oder Pflegebedürftige, die sich nicht vorstellen können, dass in wenigen Tage Artilleriefeuer auf ihren Häusern liegen kann. Die Attraktion des Filmes waren für mich jedoch zwei alte Frauen, die in ihrem Haus blieben und vom Fenster aus vorbeifahrende russische Militärfahrzeuge und Soldaten zählten und an die ukrainische Armee meldeten. Die beiden Damen hielten sich mit patriotischen Likör, Gedichten und Gesängen aufrecht in ihren ärmlichen Behausungen. Zur Premiere waren sie und viele andere Akteure des Films dann im Kino. Die beiden mutigen Omas waren der Hammer!

Nach dem Film waren wir mit unserem Freund Alexander zu Vlada und Volodymyr, einem Künstlerpaar nach Hause eingeladen. Die beiden hatten gerade eine Residenz in Aschersleben hinter sich. Volles Rohr AfD-Erfahrung inklusive.

Heute haben wir auf dem Baumarkt den hoffentlich letzten Großeinkauf gemacht: Holz, Stahlteile, Polystyrol. Dazu mussten wir einen Lieferdienst anheuern, was der Mitarbeiter im Baumarkt für uns organisiert hat. Der junge Mann kam dann gegen 16.30 h mit seinem Transporter im Institut an, und wir haben ihn gleich für Sonntag verpflichtet, denn dann müssten wir die Teile unserer Skulptur an ihren temporären Standtort transportieren. Ich glaube wir haben fast eine halbe Tonne Material verbaut, wenn alles fertig ist. Am Sonntag ist dann feierliche Einweihung.