Tag 15 der Reise, von Irgendwo im Nichts nach Havlickuv Brod, 31 km

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… und ein dunkelhaariger Lockenkopf öffnete neugierig mit einem einladenden Lächeln die Tür …  Nein, schon wieder nichts, nur Regen. Nach einem bombastischen Frühstück in meinem Motel (zwei Wiener Würstchen, zwei Eier, Käse, Paprika, zwei Brötchen, Brot…Vegetarier und Veganerinnen! Meidet dieses Land!) zog ich ab ins Grau. Zunächst ging ich die Straße nach Golcuv Jenikov, denn dort gibt es einen Geldautomaten. Der funktionierte zum Glück. Ebenfalls Glück hatte ich mit einer Apotheke, wo ich meine Pflastervorräte aufstockte. Die Blasen…. Meine tschechischen Kronen waren fast alle, gleich zweimal konnte ich in einer Unterkunft nicht mit Karte zahlen.

Golcuv Jenikov ist ein ganz nettes Örtchen mit einigen historischen Bauten im Zentrum. Hinter dem Ort folgte ich einer schmalen Straße, dann musste ich erneut die Fernstraße M38 überqueren.

Die ist eine echte Zumutung. An Ortsdurchquerungen oder Kreuzungen gibt es null Geschwindigkeitsbegrenzungen, Ampeln gleich gar nicht. Fußgänger sind bestenfalls dort vorgesehen, wo die Straße entlang von Häusern geführt ist. Ansonsten ist die neu gebaute Trasse fernab der Dörfer in großen Bögen ohne Fuß- und Radweg gebaut. Fußgänger sind offenbar einfach nicht vorgesehen, selbst der Autofahrer mit Panne soll wohl besser bleiben, wo er ist. Geht man entlang der Fernstraße, wird man also auf dem oft nicht vorhandenen Standstreifen permanent von schnell fahrenden Fahrzeugen überholt. Jiri, einer meiner Gastgeber, betrachtet das Laufen dort als lebensgefährlich. Verbotsschilder für Fußgänger gibt es aber nicht. Besonders kritisch wird es an Stellen, die durch Leitplanken gesichert sind. Dort sind die Fahrbahnen schmaler und man kann die Leitplanke dann als Fußgänger wie ein absurdes Treppengeländer benutzen. Bei Regen wird man permanent vom aufgewirbelten Wasser eingesprüht. Schallschutzwände gibt es so gut wie nirgends. Trotzdem bauen die Tschechen fleißig Neubausiedlungen mit respektablen Einfamilienhäusern in Rufweite dieser Straßen.

Daher ist es löblich, dass Komoot mir einen Zickzackkurs vorschlägt, der diese Fernstraße wenigstens ab und zu meidet, sie wäre ansonsten die kürzeste Verbindung zu meinem heutigen Tagesziel Deutsch Brot bzw. Havlickuv Brod. So werden aus 30 km eben 36 km.

Inzwischen hat ein fieser Landregen eingesetzt. Vorsorglich hatte ich schon meine Stulpen über die frisch eingefetteten Stiefel gezogen. Aber jetzt geht es durch den Wald, und meine Hosen sind ab Knie abwärts schnell nass. Auch mein Regenschirmchen ist bald überfordert. Ich muss raus aus dem Wald. Liebe tschechische Wanderfreunde, schickt doch bitte mal ab und zu ein paar Freiwillige mit Macheten, Sensen und Motorsägen über die Strecken, die ihr ernsthaft als Wanderwege ausweist. Oder kennzeichnet sie alle gleich als Klettersteige.

Ich stapfe weiter quer über ein schlammiges Feld, denn ich sehe eine Datsche unter ein paar Bäumen. Tut mir leid, lieber Datschenbesitzer, Dein Verbotsschild musste ich leider ignorieren. Wozu soll ich auch Dein Grundstück nicht betreten, wenn Du den Rasen auf Golfplatznieveau geschoren hast und dann keiner da ist? Ich brauchte das Vordach Deiner Laube. Jetzt trete ich den Beweis vor mir selbst an, dass ich das ganze Regenzeug nicht umsonst mitgeschleppt habe. Überhose, Kapuzenjacke, Regenplanen … Ich lerne, dass man unter dem ganzen Plastikkram nicht schwitzt, wenn man tapfer läuft, denn durch die Bewegung wird immer ein wenig gelüftet. Trotzdem gibt es eine Schwachstelle: wenn der Regen am Rücken runterläuft, saugen sich die Tagegurte des Rucksacks voll und auch vom Rücken her dringt Nässe in das Innere. Ich halte also weiter tapfer meinen Regenschirm.

Heute bin ich auch an einer gigantischen Hühnerfarm vorbeigekommen. Der Geruch kenne ich aus meiner Kindheit. Und diesen Geruch verströmte auch ein Haufen, der von weitem aussah wie frischer Mutterboden. Nein, es war Streu mit Hühnerscheiße, tonnenweise auf den Acker gekippt, und jetzt war reichlich davon auf den Weg gespült worden. Da musste ich durch. Liebe tschechische Bauern! Das macht ihr nicht nochmal mit mir! Auch wenn der Regen dann den ganzen Tag Zeit hatte, die Stiefel wieder abzuspülen. Und ich werde hier auf keinen Fall aus irgendwelchen Bächen trinken, es sei denn die fließen auf 3.000 m Höhe und im Umkreis von 5 km ist weder Vieh noch Farm auszumachen.

Ich muss übrigens meine Klage über mangelnden Obstbaumbestand entlang der Strecke revidieren. Die Vitamin- und vermutlich auch Schadstoffversorgung ist gesichert. Wandert man mit gesenktem Kopf, kann man am Fallobst auf der Straße sehen, ob sich eine kleine Ernte lohnt. Ansonsten bin ich der einzige, der erntet. Immer muss ich an den „Apfeltraum“ von der Klaus Renft Combo denken, Text Gerulf Pannach:

Hab geschlafen unter’m Apfelbaum
Und er hing mit Äpfeln voll
Als ich träumte einen Apfeltraum
in Moll.
Alle Äpfel hatten ein Gesicht
Jedes weinte bitterlich.
Und der Apfelbaum der neigte sich zu mir:
Rüttle, schüttle mich, Fremder mein Gewicht ist gar so schwer.
Träume deinen Traum, unter’m Apfelbaum doch hinterher.


Kam ein Vogel, flog auf einen Ast,
Und er war die Goldmarie
Aus dem Märchen
, mein Freund aufgepasst,
sprach sie:
Dieser Baum gehört dem alten Mann,
In dem Häuschen nebenan
Wenn du kannst, denn es geht ihm sehr schlimm, hilf ihm
Recke, strecke dich, ich erwecke dich aus deinem Traum
Stell dich nicht so an, hilf dem alten Mann und seinem Baum
.


Wachte auf, fast wie ein Trunkenbold,
Stellte fest nur Fantasie
War der Apfeltraum und auch die Goldmarie
Nahm die Äpfel ab, gab sie dem Mann
Der schon
sieben lange Jahr
Wie er sagte nicht in seinem Garten war
Sieben Jahre sind, manchmal stumm und nicht mehr als ein Traum“
Sprach der kranke Mann, bot zum Dank mir an den Apfelbaum
.

Es ist einer der wenigen Liedtexte, die ich auswendig kann. Hier habe ich aber auf die Schnelle mal copyandpaste gemacht.

Da ich gestern dem Regen das letzte Wort gegeben hatte, wollte ich heute etwas mehr laufen. 36 km wären das gewesen. Die Füße sind wieder in Form! Gern wäre ich ein Stück getrampt, aber ich hätte als Ziel immer nur das nächste Dorf angeben können auf meinem Schlingerkurs. Ab und zu habe ich mal nett mit meinem orangen Regenschirm gewunken. Nun ja. Etwa bei km 20 musste ich mal wieder ein Stück die Fernstraße gehen. Und just in dem Moment kam der Bus nach Havleckuv Brod, der mich durchgeweichten Wanderer an der zufällig anwesenden Haltestelle erlöste. Auf der Fernstraße waren es ca. 10 km, aber zu Fuß hätte ich noch 16 auf der Uhr gehabt.

In der Stadt meiner heutigen Träume bin ich gleich mal in meinem ganzen Aufzug in ein Cafe eingefallen. Heißer schwarzer Tee mit Schokoladentorte. Und dann habe ich die anwesenden Damen mit einer kleinen Strip-show erfreut, denn draußen kam allen Ernstes die Sonne raus. Also runter mit dem Regenzeug.

Havleckuv Brod hat einen schönen Marktplatz, natürlich zugleich Durchgangsstraße für Autos und Busse. Und hinter der noch einigermaßen intakten Stadtmauer stapeln sich die Neubaublocks als gelte ihnen besonderer Schutz.

Das Hotel hatte ich noch im Bus gebucht. Und es gibt einen Wasserkocher. Draußen weht der Geruch von Braunkohlebriketts.

Übrigens: wenn man im strömenden Regen neben einem Maisfeld läuft, hört sich das Rauschen des Regens in den Blättern an wie ein fröhlicher Gebirgsbach. Echt jetzt!

Und hier der Link zu Komoot für die Tour des Tages.

Die berüchtigte Fernstaße, rechts mein Wanderweg
In diesem Dorf, Fryinava, sieht man noch die Reste der ursprünglichen Fernstraße, möglicherweise verlief hier auch die alte Poststraße, die Seume nutzte.
Im Regenwald
Auch in Prosec deuten alte Begrenzungssteine auf einen historischen Straßenverlauf
Im Bus nach Hlavickuv Brod
Das sind Garagen in zwei Etagen, die Einfahrt in die obere erfolgt auf der Rückseite mit einer Rampe.
Der Markt von Deutsch Brot (so schrieb es Seume).

…and a dark haired curly head curiously opened the door with a welcoming smile…No, nothing again, just rain. After a bombastic breakfast at my motel (two Vienna sausages, two eggs, cheese, peppers, two rolls, bread…vegetarians and vegans! Avoid this country!) I moved off into the gray. First I went down the road to Golcuv Jenikov, because there is an ATM there. Fortunately, it worked. I was also lucky with a pharmacy, where I replenished my plaster supplies. The bubbles…. My Czech crowns were almost all, twice I could not pay with card in an accommodation.

Golcuv Jenikov is quite a nice village with some historical buildings in the center. Behind the village I followed a narrow road, then I had to cross the M38 trunk road again.

This is a real imposition. There are zero speed limits at local crossings or intersections, traffic lights not at all. Pedestrians are provided at best where the road is routed along houses. Otherwise, the newly constructed route is built far away from the villages in large arcs without pedestrian and bicycle paths. Pedestrians are apparently simply not provided for, even the broken-down motorist is probably better off staying where he is. So if you walk along the highway, you are permanently overtaken by fast moving vehicles on the often non-existent hard shoulder. Jiri, one of my hosts, considers walking there as life-threatening. But there are no prohibition signs for pedestrians. It is especially critical at places that are secured by crash barriers. There, the lanes are narrower and pedestrians can use the guardrail like an absurd stair railing. When it rains, you are permanently sprayed by the swirling water. Sound barriers are almost nowhere to be found. Nevertheless, the Czechs are diligently building new housing developments with respectable single-family homes within shouting distance of these streets.

Therefore it is commendable that Komoot suggests me a zigzag course, which avoids this trunk road at least from time to time, it would otherwise be the shortest connection to my today’s destination Deutsch Brot or Havlickuv Brod. So 30 km become 36 km.

In the meantime a nasty land rain has begun. As a precaution, I had already pulled my gauntlets over my freshly greased boots. But now it goes through the forest, and my pants are quickly wet from the knee down. Even my little umbrella is soon overwhelmed. I have to get out of the forest. Dear Czech hiking friends, please send a few volunteers with machetes, scythes and chainsaws over the routes you seriously designate as hiking trails from time to time. Or mark them all as via ferrata right away.

I keep trudging across a muddy field, because I see a dacha under some trees. Sorry, dear dacha owner, I had to ignore your prohibition sign. Why should I not enter your property, if you have shorn the lawn to golf course level and then no one is there? I needed the canopy of your arbor. Now I’m proving to myself that I didn’t drag all that rain gear along for nothing. Overpants, hooded jacket, rain tarps … I’m learning that you don’t sweat under all that plastic stuff if you walk bravely, because the movement always ventilates a little. Nevertheless, there is a weak point: when the rain runs down the back, the day straps of the backpack soak full and wetness also penetrates from the back inside. So I continue to bravely hold my umbrella.

Today I also passed a gigantic chicken farm. I know the smell from my childhood. And a pile that looked like fresh topsoil from a distance also gave off that smell. No, it was litter with chicken shit, dumped on the field by the ton, and now plenty of it had washed up on the path. I had to go through it. Dear Czech farmers! You will not do that to me again! Even if the rain then had the whole day to wash off the boots again. And I won’t drink from any creeks here, unless they flow at 3,000 m above sea level and there are no cattle or farms within a radius of 5 km.

By the way, I have to revise my complaint about lack of fruit trees along the route.

Since I had given the rain the last word yesterday, I wanted to run a little more today. 36 km would have been that. The feet are back in shape! Gladly I would have hitchhiked a bit, but I could have always given as a destination only the next village on my lurching course. From time to time I waved nicely with my orange umbrella. Well, yes. At about km 20 I had to walk again a piece of the highway. And just at that moment came the bus to Havleckuv Brod, which redeemed me soaked hiker at the random stop. On the trunk road it was about 10 km, but on foot I would have had another 16 on the clock.

In the city of my dreams today, I immediately dropped into a cafe in all my elevator. Hot black tea with chocolate cake. And then I delighted the ladies present with a little strip show, because outside the sun came out in all seriousness. So down with the rain gear.

Since I had given the rain the last word yesterday, I wanted to run a little more today. 36 km would have been that. The feet are back in shape! Gladly I would have hitchhiked a bit, but I could have always given as a destination only the next village on my lurching course. From time to time I waved nicely with my orange umbrella. Well, yes. At about km 20 I had to walk again a piece of the highway. And just at that moment came the bus to Havleckuv Brod, which redeemed me soaked hiker at the random stop. On the trunk road it was about 10 km, but on foot I would have had another 16 on the clock.In the city of my dreams today, I immediately dropped into a cafe in all my elevator. Hot black tea with chocolate cake. And then I delighted the ladies present with a little strip show, because outside the sun came out in all seriousness. So down with the rain gear.

Havleckuv Brod has a beautiful market square, which is of course also a thoroughfare for cars and buses. And behind the still somewhat intact city wall, the blocks of new buildings are piled up as if they were afforded special protection.

I had booked the hotel on the bus. Und es gibt einen Wasserkocher. Draußen weht der Geruch von Braunkohlebriketts.By the way, walking next to a maize field in the pouring rain, the sound of the rain in the leaves sounds like a happy mountain stream. Seriously!!!