Tag 47 der Reise, von Divaca nach Triest, 25 km

17.10.2022

Jetzt sitze ich im traumhaft schönen Cafe „1914“ mitten in Triest, das ich erst vor einer guten Stunde vom Hang des Berges, den ich zu überqueren hatte, im Dunst von Meer und Stadt unten vor mir liegen sah.

Hier laufen alle in Jacken und Pullovern, ich trage kurze Hosen und T-shirt bei schwarzem Tee und Sachertorte. Heute früh schien schon die Sonne, und ziemlich schnell habe ich alles Überflüssige abgelegt, so warm war es nach kurzer Zeit. Der Weg ging zunächst entlang der Bahn und dann den ganzen Tag durch den Wald. Der war bis Sezana noch einigermaßen wie mitteleuropäischer Mischwald. Als ich aber nach Sezana, dass ich eigentlich nur besuchte, weil dort Seume definitiv durchging, wieder bergauf marschierte, fand ich mich in einem bemerkenswerten (und auch recht berühmten) Karstgebiet wieder.

In Sezana habe ich einen Fehler gemacht. Eigentlich wollte ich etwas essen, aber wie so oft Seume auch, fand ich kein gutes Wirtshaus. An einer Bar saß ich draußen und trank mein alkoholfreies Bier zu Mittag. Als ich reinging zum Bezahlen, spricht mich ein Mensch an der Theke an. Ich erzähle dies und das zu Seume und meiner Reise. Dann lädt er mich auf ein Bier ein. Das lehnte ich nach einigem Überlegen und Bedauern ab, denn ich saß bereits eine gute halbe Stunde, und wollte nicht zu spät in Triest eintreffen. Leider zu spät habe ich dann gemerkt, dass ich die Zeit noch gut gehabt hätte, denn vor mir lagen nur noch 12 km, und tatsächlich kam ich schon kurz nach 5 in Triest an. Der Mann sprach gut Englisch, es wäre sicher nett geworden.

Andererseits konnte ich mir nun in besagtem Karstgebiet Zeit nehmen, die ein und andere Tafel lesen (alle jeweils auch auf Englisch, später sogar Italienisch). Es ist eine bizarre Landschaft mit großen Kalksteinblöcken, wie hingestreut. Der Bewuchs ist spärlich, denn jedes Wasser versickert sofort im löchrigen Boden. Dann wieder finden sich zahlreiche Einbrüche der Kalkschichten, was 10 bis 20 Meter tiefe Krater hinterlässt. Wenn diese jünger sind, fallen die Wände topfartig steil hinab. Die Landschaft war tatsächlich bis vor gut 70 Jahren fast völlig kahl. Die Bauern bewirtschafteten kreisrunde Felder am Grund der Krater, wo sich etwas Mutterboden bilden konnte. Diese waren oft noch mit Steinwällen geschützt. Der Rest der Gegend wurde mit Schafen und Ziegen bewirtschaftet. Inzwischen sind die Böden der Krater bewaldet, die Landschaft oben weitgehend verbuscht und mit einzelstehenden Kiefern oder Pinien bewachsen.

Das ganze präsentierte sich unter strahlender Sonne und in herbstlichen Farben. Besonders hatte es mir der rot leuchtende Gewöhnliche Perückenstrauch angetan. Vielen Dank, an Flora Incognita, die mir diesen Allgemeinwissensprung im floralen Bereich ermöglichte.

Aber auch die Fauna kam heute nicht zu kurz, zumindest auf Warnschildern. In Slowenien wurde ich darauf hingewiesen, dass ich jetzt das Revier der Bären betrete. Sofort habe ich die kleine rote TPlastikrillerpfeife aus dem Rucksack gekramt, die mir meine Schwester zum Abschied mit auf die Reise gegeben hat (aus irgendeinem Notfallset). In Italien wiederum wurde ich vor diversen Giftschlangen gewarnt, die sich wohl auf dem kahlen Karst besonders wohl fühlen.

Als ich im Wald oben auf dem Karst über die Grenze ging, merkte ich davon absolut nichts. Es deutete kein winziges Zeichen mehr darauf hin, dass hier zwei Staaten aneinandergrenzen und früher mal zwei Systeme. Lediglich mein Mobilfunkprovider meldete sich mit einer SMS, dass ich nunmehr im italienischen Netz sei. Hach, wenn doch alle Grenzen so wären, so wunderbar belanglos.

Im ersten italienischen Ort versuchte ich, in einer Bar schwarzen Tee zu bekommen. Die haben mich erst gar nicht verstanden, so erstaunt waren die. Ich hab dann einfach ein Mineralwasser bestellt.

Irgendwie konnte ich es kaum erwarten, in Italien zu sein. Als wäre ich dem Ziel schon ganz nah. Aber ich habe noch nicht mal die Hälfte der Strecke hinter mir. Für die ganze Woche ist schönes Wetter angesagt.

Und was schreibt Seume:

„Der erste Anblick der Stadt Triest von oben herab ist überraschend, der Weg herunter ist angenehm genug, der Aufenthalt auf einige Zeit muß viel Vergnügen gewähren, aber in die Länge möchte ich nicht hier wohnen. Die Lage des Orts ist bekannt, und fängt nun an ein Amphitheater am Meerbusen zu bilden. Die Berge sind zu hoch und zu kahl, um angenehm zu sein; und zu Lande ist Triest von aller angenehmen Verbindung abgeschnitten. Desto leichter geht alles zu Wasser.“

Ich bin aber seit Ljubljana erst vier Tage gelaufen, und kann nicht schon wieder Ruhetag machen, zumal es mir gut geht und ich leicht vorwärtskomme. Das ist er vielleicht, der lang erhoffte Flow. Die zweite Generation Blasen an den Füßen zeigt sich noch nicht.

Jetzt kommt aber noch die Überraschung des Tages: abends in meinem B&B-Quartier stelle ich fest, dass mein Perso nicht mehr da ist, wo er sein soll. Sofort fiel mir ein was passiert war: im Hotel in Divaca gab ich nach dem Frühstück dem jungen Mann an der Rezeption meinen Ausweis, damit er meine Rechnung fertig machen kann, ich ging noch mal aufs Zimmer zum Zähneputzen. Dann Auschecken, Bezahlen … ja, genau. Der Perso lag noch an seinem Arbeitsplatz. Das wurde festgestellt, als ich abends im Hotel anrief. Aber eventuell naht Rettung, denn in dem Hotel sind einige Gäste aus Triest, der Chef will morgen klären, ob jemand meinen Ausweis mitnehmen kann. Denn was auf der Landkarte so schön aussieht, funktioniert im praktischen Leben nicht: mal schnell mit dem Zug oder mit dem Bus von Triest in das nur 15 km Luftlinie entfernte Nachbarstädtchen zu fahren. Immerhin, wäre der Ausweis ganz verloren, wäre es komplizierter. Nun muss ich eventuell doch etwas länger in Triest weilen und kann demzufolge auch keinen Plan machen für mein Tagesziel morgen.

Die Tour heute: https://www.komoot.de/tour/955909390?ref=wtd

Da war er noch mal zu sehen, der ewig weit sichtbare Plesa
Im Revier der Bären
Eine alte Zisterne am Dorfrand von Merce
In Sezzana
Ein Loch im Karst
Gewöhnlicher Perückenstrauch
Auf dem Karstplateau
Blick auf Triest
Triest
Im Cafe „1914“
Triest
Triest
Triest
Der Kanal am alten Hafen

Day 47 of the journey, from Divaca to Trieste, 25 km

17.10.2022

Now I sit in the fantastically beautiful cafe „1914“ in the middle of Trieste, that I saw only a good hour ago from the slope of the mountain, which I had to cross in the haze of sea and city below in front of me.

Here everyone walks in jackets and sweaters, I wear shorts and T-shirt with black tea and Sacher cake. This morning the sun was already shining and pretty quickly I discarded everything superfluous, so warm it was after a short time. The path went first along the railroad and then the whole day through the forest. The was until Sezana still reasonably like Central European mixed forest. But when I marched uphill again after Sezana, which I actually only visited because Seume definitely passed through there, I found myself in a remarkable (and also quite famous) karst area.

In Sezana I made a mistake. Actually I wanted to eat something, but as so often Seume also, I found no good inn. At a bar I sat outside and drank my non-alcoholic beer for lunch. When I went in to pay, a person at the bar approached me. I tell him this and that about Seume and my journey. Then he invites me for a beer. I declined after some thought and regret, because I had already been sitting for a good half hour and didn’t want to arrive too late in Trieste. Unfortunately too late I then realized that I would have had the time still good, because before me lay only 12 km and actually I arrived shortly after 5 in Trieste. The man spoke good English, it would certainly have been nice.

On the other hand, I could now take my time in said karst area, read the one and other boards (all in each case also in English, later even Italian). It is a bizarre landscape with large limestone blocks, as if scattered. The vegetation is sparse, because any water immediately seeps into the holey ground. Then again, there are numerous collapses of the limestone layers, leaving craters 10 to 20 meters deep. When these are younger, the walls drop steeply like pots. The landscape was in fact almost completely bare until a good 70 years ago. Farmers cultivated circular fields at the bottom of the craters where some topsoil could form. These were often still protected with stone walls. The rest of the area was farmed with sheep and goats. In the meantime, the bottoms of the craters are forested, the landscape above is largely covered with shrubbery and overgrown with solitary pine trees or pines.
The whole presented itself under bright sun and in autumnal colors. I was particularly taken with the red shining common wig bush. Many thanks to the Flora Incognita app, which enabled me this general knowledge leap in the floral field.

But also the fauna was not neglected today, at least on warning signs. In Slovenia, I was informed that I was now entering the territory of the bears. Immediately I dug the small red TPlastikrillerpfeife out of my backpack, which my sister gave me to say goodbye on the trip (from some emergency kit). In Italy, on the other hand, I was warned about various poisonous snakes that probably feel particularly comfortable on the bare Karst.

When I crossed the border in the forest on top of the karst, I noticed absolutely nothing of this. There was not a single sign that there were two states bordering each other and that there used to be two systems. Only my mobile phone provider sent me a text message saying that I was now on the Italian network. Oh, if only all borders were like that, so wonderfully inconsequential.

In the first Italian town I tried to get black tea in a bar. They didn’t understand me at first, they were so astonished. I simply ordered a mineral water.

Somehow I could hardly wait to be in Italy. As if I were already very close to my destination. But I’m not even halfway there yet. Nice weather is forecast for the whole week.

And what does Seume write:

„The first sight of the city of Trieste from above is surprising, the way down is pleasant enough, the stay for some time must grant much pleasure, but in the length I would not like to live here. The location of the place is well known, and now begins to form an amphitheater on the gulf of the sea. The mountains are too high and too bare to be pleasant; and on land Trieste is cut off from all pleasant communication. All the more easily everything goes by water.“

But I have only walked four days since Ljubljana, and I can’t take another rest day, especially since I’m doing well and making easy progress. Maybe this is it, the long hoped for flow. The second generation blisters on the feet does not show up yet.

But now comes the surprise of the day: in the evening in my B&B quarter I notice that my Perso (ID-card) is no longer where it should be. Immediately I remembered what had happened: in the hotel in Divaca, after breakfast, I gave the young man at the reception my ID so that he could finish my bill, I went back to the room to brush my teeth. Then check out, pay … yeah, right. The Perso was still at his desk. This was discovered when I called the hotel in the evening. But perhaps rescue is near, because in the hotel are some guests from Trieste, the boss wants to clarify tomorrow whether someone can take my ID. Because, what looks so nice on the map, does not work in practical life: times quickly by train or by bus from Trieste to the neighboring town, which is only 15 km away as the crow flies. After all, if the ID card were completely lost, it would be more complicated. Now I may have to stay a little longer in Trieste and consequently can not make a plan for my daily destination tomorrow.