Tag 78 der Reise – von Otricolo nach Civita Castellana, 20 km

17.11.2022, english below

Heute war der Feierabend wieder hart erkämpft: die Strecke führte zu mehr als 50 % neben stark befahrenen Straßen entlang. Aber es gab keine zumutbare Alternative.

Bei Seume kommt Otricolo kaum besser weg als Spoleto:

„In Otrikoli , einem alten schmutzigen Orte nicht sehr weit von der Tiber, wo ich gegen Abend ankam, lud man mich gleich vor dem Tore höflich in ein Wirtshaus, und ich trug kein Bedenken meinen Sack abzuwerfen und mich zu den Leutchen an das Feuer zu pflanzen.“

Und zu der Gegend die ich heute durchquerte und morgen weiter durchqueren werde, schreibt er:

“Jenseits der Berge vor und hinter Ankona, bei Foligno und Spoleto und Terni und Narni war die Kultur doch noch reich und schön, und in den Bergen waren die Szenen romantisch groß und zuweilen erhaben und furchtbar. Man vergaß leicht die Gefahr, die sich finden konnte. Von der Tiber und Borghetto an wird alles wüst und öde. Die Bevölkerung wird immer dünner und die Kultur mit jedem Schritte nachlässiger.“

Zu Civita Castellana schreibt er:

„Der Ort ist fast rund umher mit Felsen umgeben, die von Natur unzugänglich sind. … Von Borghetto her führt eine alte Brücke über eine wilde, romantische Felsenschlucht, und nach Nepi und Rom zu hat Pius der Sechste eine neue Brücke gebaut, welche das beste ist, was ich noch von ihm gesehen habe.“

Heute bin ich über eine Brücke gegangen, deren Vorgängerbau auch unter Pius errichtet worden war, die Ponte Felice über den Tiber. Der führte viel grünlich schlammiges Wasser. Und den Weg dahin bildete wieder die Via Flavinia. An dieser stand mitten auf einem Feld ein Denkmal für Papst Urban dem VIII., der im 17. Jahrhundert wirkte. Das korrespondiert mit Seumes Klage über zahlreiche Ehrenmale für Päpste, die er entlang seiner Strecke fand. Kurz nach der Querung des Tiber und der Eisenbahnlinien sieht man die Ruine auf dem Rocca di S. Leonardo.

Den von Seume beschriebenen imposanten Einmarsch nach Civita Castellana erlebte ich auch, allerdings erst nach einigen Kilometern durch die neuen Viertel der Stadt. Die Brücke über die Schlucht ist wirklich beeindruckend.

Heute bin ich wieder im Mittelalter gelandet, in einer kleinen Ferienwohnung in der Altstadt. Das hat immer den Vorteil, dass ich mir mein Essen selbst machen (Schwarzbrot und Käse aus der Kaufhalle) und vor allem Tee kochen kann. Zum Thema Tee hatte ich heute Morgen im Hotel wieder ein typisch italienisches Erlebnis. Als ich den Frühstücksraum betrat (als vermutlich einziger Gast des Hotels), nahm ich eine kleine Porzellankanne aus dem Regal und streute Teeblätter hinein. Dann kam eine Angestellte, die leider nicht besser Englisch konnte als ich Italienisch. Ich bat sie, heißes Wasser in die Kanne zu gießen. Sie fragte nochmal: „heißes?“. Und ich antwortete „Si, perfavore super kaldo!“ Nach einer Weile kam sie wieder und hatte heiße Milch in die Kanne gefüllt, offensichtlich, weil es sich um eine Milchkanne handelte. Sie schaute mich irritiert an, als ich lachte. „Aqua! Aqua!“ rief ich. Sie ging mit der Kanne davon, ich hörte die Espressomaschine zischen und wusste schon, was mich erwartet: heißes, aber keineswegs kochendes Wasser, in das ich zerknirscht einige Teeblätter streute. Schrecklich.

Die Tour auf Komoot: https://www.komoot.de/tour/981084152?ref=wtd

Gestern gab es vor meinem Hotelfenster noch einen schönen Sonnenuntergang, heute früh stand alles im Nebel
Ein Stadttor von Otricolo
Am Anfang hatte mein Weg noch einige Kilomter durch Felder und kleine Waldstücke
Die Via Flavinia
Das Denkmal für Urban den VIII.
Die Brücke über den Tiber
Blick auf den Rocca di S. Leonardo
Blick von Citiva Castellana in die Tiberebene, im Hintergrund der Monte Soratte
Die Schlucht vor Citiva Castellana
Der Markt von Citiva Castellana

Day 78 of the trip from Otricolo to Civita Castellana, 20 km.

Today the end of the day was again hard-fought: the route ran along more than 50% of it next to roads with heavy traffic. But there was no reasonable alternative.

In Seume, Otricolo hardly comes off better than Spoleto:

„In Otrikoli , an old dirty place not very far from the Tiber, where I arrived towards evening, I was politely invited to an inn just outside the gate, and I had no hesitation in throwing off my sack and planting myself by the fire with the people.“

And about the area I crossed today and will continue to cross tomorrow he writes:

Beyond the mountains before and behind Ancona, at Foligno and Spoleto and Terni and Narni, the culture was still rich and beautiful, and in the mountains the scenes were romantically grand and at times sublime and terrible. It was easy to forget the danger that could be found. From the Tiber and Borghetto everything becomes desolate and barren. The population becomes thinner and thinner and the culture more and more negligent with every step.“

On Civita Castellana he writes:
„The place is surrounded almost all around with rocks inaccessible by nature. … From Borghetto an old bridge leads over a wild, romantic rocky gorge, and towards Nepi and Rome Pius the Sixth has built a new bridge, which is the best I have yet seen of him.“

Today I walked over a bridge whose predecessor had also been built under Pius, the Ponte Felice over the Tiber. It carried a lot of greenish muddy water. And the way to it was again the Via Flavinia. In the middle of a field, there was a monument to Pope Urban VIII, who was active in the 17th century. This corresponds with Seume’s complaint about numerous monuments to popes that he found along his route. Shortly after crossing the Tiber and the railroad lines, one sees the ruins on the Rocca di S. Leonardo.

I also experienced the imposing entry to Civita Castellana described by Seume, but only after a few kilometers through the new quarters of the city. The bridge over the gorge is really impressive.

Today I landed back in the Middle Ages, in a small apartment in the old town. This always has the advantage that I can make my own food (brown bread and cheese from the department store) and especially make tea. On the subject of tea, I had another typical Italian experience this morning at the hotel. When I entered the breakfast room (as presumably the only guest in the hotel), I took a small porcelain teapot from the shelf and sprinkled tea leaves into it. Then a clerk arrived who, unfortunately, didn’t know English any better than I knew Italian. I asked her to pour hot water into the pot. She asked again „hot?“. And I replied „Si, perfavore super kaldo!“ After a while she came again and had poured hot milk into the pot, obviously because it was a milk pot. She looked at me irritated when I laughed. „Aqua! Aqua!“ I exclaimed. She walked away with the pot, I heard the espresso machine hiss, and I already knew what to expect: hot, but not at all boiling water, into which I contritely sprinkled some tea leaves. Terrible.