Tag 8 der Resie, von Chrzin nach Prag, 38 km

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Zugegeben, das war die härteste Etappe. Zum Teil schlechte, steile Pfade (das Worte „Wege“ wäre zu beschönigend), immer wieder Regen, und halt einfach weit. Während ich Prag durchquerte, bin ich im Stadtteil Holesovice ein Stück mit der Kutsche gefahren, die hatte ganz viele Räder und trotzdem nur einen einzigen Mann auf dem Bock. Seume hätte es nicht anders gemacht.

Aber zur Strecke. Zunächst ging es über Feldwege, da waren ganz schnell Stiefel und Hosenbeine nass vom Gras. Die Stulpen überzuziehen, hatte ich nicht die Nerven, am Anfang ist man frisch, läuft sich warm, und will erst mal Kilometer machen.

Dann ging es bei Uhry an einem gigantischen Öldepot vorbei (das zentrale Öllager Tschechiens), ein leider etwas unübersichtliches und gefährliches Stück Straße entlang, und schon kletterte ich im Wald einen Pfad nach oben. Rechts vom Weg dann eine Mülldeponie …. Nein, der Weg /Pfad durch den Wald war ganz nett, und ich hatte auch den Nässeschutz um Schuhe und Waden gepackt.  Schon befand ich mich auf dem Plateau des Flusstals der Moldau. Nach einer reichlichen Stunde ging es einen halsbrecherisch steilen Pfad ins Tal und ich sah die Moldau vor mir, herrlich grau im Regen…

An einem kleinen Bahnhof habe ich Rast gemacht. Den hatten die Bürger von Nelahozeves zum Kindergarten umgebaut. Lauter kleine Eisenbahner/innen werden da erzogen.

Von da lief ich die ganze Zeit flussaufwärts an der Moldau. Ein wunderbarer Weg bei schönem Wetter. Ich jedoch musste ständig wählen zwischen nass werden vom Regen oder vom Schweiß. Schließlich habe ich meinen kleinen Regenschirm hervorgekramt, und das war die richtige Entscheidung. Das Teil ist winzig und wiegt nur ca. 100 g. Aber um Kopf und Kamera ein wenig vor der Nässe zu schützen, perfekt. Über dem Rucksack ist ohnehin eine Art Überzieher, die Schuhe unter Stuplen.

An der Fähre bei Libcice musste ich die Moldau überqueren. Schon schoss mir der Schreck in die Glieder, denn die Fährboote lagen am anderen Ufer und weit und breit war kein Mensch zu sehen. In einem winzigen Häuschen studierte ich den Fahrplan, und siehe da, pünktlich zur Abfahrzeit bestieg der Fährmann am anderen Ufer das Boot und warf den Motor an. Jetzt wäre alles perfekt gewesen, wenn am Ziel der Überfahrt auch noch die Kneipe geöffnet gewesen wäre, denn vor mir lagen etliche Kilometer ohne Siedlungen.

So ging ich denn immer dicht am Ufer des Flusses nach Süden. Die Moldau hat hier zahlreiche Staustufen mit kleinen Wasserkraftwerken und Schleusen. Der Uferweg ist teils ein schmaler Pfad, von dem rechts eine steile Böschungsmauer zum Wasser abfällt. Nichts für unsichere Spaziergänger.

Vor Rez schlug mir Komoot eine Abkürzung vor, um eine Schleife des Flusses zu schneiden. Allerdings waren da auch beachtliche Höhenmeter zu überwinden. Also entschloss ich mich, den Bogen an einer flacheren Stelle zu kürzen, in der Hoffnung, dort in besiedeltem Gebiet Wasser und vielleicht etwas zu Essen zu finden. Als ich jedoch die von mir gewählte Abbiegestelle erreichte, musste ich feststellen, dass da ein ewig großes Fabrikgelände den Weg versperrt. Also weiter am Fluss entlang und die gefühlt ewig weit entfernte Abzweigung nehmen. Tatsächlich kam ich dann durch eine kleine Siedlung. Und kurz bevor ich die Hoffnung auf sowas wie Bäcker fallen ließ, fiel mir abseits vom Weg am Sportplatz eine Kneipe auf, die doch tatsächlich geöffnet war, und in der – es war so gegen 13 h – schon drei vier Männer vor dem Bier saßen. Ja, gewiss alles Schichtarbeiter… Bedauernde Blicke, als ich ein alkoholfreies Bier bestellte. Davon steht in den Kühlschränken dieser Nation übrigens überall nur ein und dieselbe Sorte.

Dazu wurden für mich dann Pommes und ein Stück panierter Käse in die Fritteuse geworfen, alles gut. Nur Stiefel und Socken konnte/wollte ich nicht ausziehen, was für eine perfekte Pause dringend notwendig ist. Aber vom Regen war sowieso alles klamm, da hätte auch kurzzeitiges Lüften nichts genützt.

Keiner der Anwesenden hat mich auch nur eine Silbe nach woher und wohin gefragt. Statt dessen starrten alles in den großen Monitor, auf dem Holland gerade von Finnland im Basketball besiegt wurde. Das ist ein wenig schade, dass die Leute hier so verschlossen, oder skeptisch oder misstrauisch sind. Aber immerhin fragte gestern eine junge Frau am Hoftor in gutem Englisch, was mich den in ihre Einöde verschlagen hätte (das hätte ich sie eigentlich auch fragen sollen…). Ich erklärte und gab ihr mein Kärtchen. Seitdem folgt sie mir auf Instagram.

Fast die ganze Zeit bin ich in den letzten beiden Tagen ausgewiesene tschechische Wanderwege gegangen. Aber entweder wird in Böhmen weniger gewandert, oder die Tschechen setzen Hochgebirgskonditionen voraus. Oft sind selbst die markierten Wege in einem schlechten Zustand. Nirgendwo auch nur eine Bank außerhalb der Ortschaften, von Unterständen ganz zu schweigen, oft geht es durchs Dickicht. Ebenso rar sind Tafeln mit Wanderkarten am Weg.

Je näher ich auf Prag zukam, desto höhere die Frequenz von Radfahrern, Läufern und Skatern auf dem nun besser werdenden, asphaltierten Weg. Und auch die Dichte kleiner Kioske nahm zu. An einem solchen hielt ich und bekam einen schwarzen Tee. Ich trug meine Banderole mit den Flaggen der zu durchquerenden Ländern. Das junge Paar war neugierig. Als ich jedoch von meinem Spendenprojekt für die Ukraine erzählte, wurde deren Englisch auf einmal schlechter. Man stehe eher auf der Seite der Russen, erfuhr ich, man habe einige russische Freunde. Die habe ich natürlich auch, aber unter meinen russischen Freunden liegt die Oligarchinnenquote definitiv bei null. Ich erklärte: Putin wird diesen Krieg verlieren, dafür will ich einen bescheidenen Beitrag leisten, er darf auf keinen Fall gewinnen. Was sie denn da anders sähen als ich? Könnten sie mit ihrem schlechten englisch nicht erklären… Ich redete dennoch weiter, von den jüngsten Erfolgen der ukrainischen Armee, von dem Versuch der Russen, „Freiwillige“ aus Gefängnissen und der Psychiatrie zu rekrutieren. Nun ja. Ich habe mich mit einigen russischen Sätzen verabschiedet, sie lächelten und wünschten alles Gute.

Kurz vor Prag gab es wieder eine Schleife der Moldau abzukürzen. Diesmal folgte ich. Es ging einen Pfad steil nach oben, dann stand ich schon am Stadtrand auf einer Wiese mit ländlicher Bebauung. Dann wieder einen Pfad steil herab, durch eine Plattenbausiedlung, dann wieder auf einen Hügel und diesmal stand ich auf einer Wiese, die ein faszinierendes Panorama der Stadt im Abendlicht bot.

Jetzt gibt es Ruhetage in Prag, Zeit für Datensortierung, Bilder und Texte. Meine Füße haben es dringend nötig. Es gab auf der letzten Etappe dann doch zwei kleine Blasen, auch wenn die Schuhe nicht reiben oder drücken, es ist einfach die starke Belastung. Claudia hat für uns hier in Prag ein kleines Apartment gebucht. Es gibt eine Waschmaschine. Und meine liebe Gattin hat mir noch einige Dinge mitgebracht. Ebenso wird sie Teile meins Gepäcks, z.B. ein schweres Stück Seife, den Schlafsack, der Reserveakku der Kamera, wieder mit nach Berlin nehmen.

Heute wolle ich ein wenig Mittagsschlaf machen, aber mein Körper scheint noch voller Adrenalin zu sein. Mir ist immerzu warm, weil ich mich offenbar an kühle Luft gewöhnt habe. Fieber ist es definitiv nicht.

Und hier die Tour auf Komoot.

Öldepot
Waldweg vor dem Abstieg zur Moldau
Regen an der Moldau bei Kralup
Wasserkraftwerk bei Klecany
Wohnblock am Stadtrand von Prag
Blick auf Prag vom Hügel beim Stadtteil Troja
Auf der Hlavkuv-Brücke

Day 8 From Chrzin to Prague 38.6 km

Admittedly, this was the hardest stage. Partly bad, steep paths (the word „paths“ would be too euphemistic), rain again and again, and simply far. While I was crossing Prague, I rode a carriage for a while in the Holesovice district, it had lots of wheels and yet only one man on the trestle. Seume wouldn’t have done it any differently.

But about the route. At first we went over field paths, so our boots and testicles quickly got wet from the grass. I didn’t have the nerve to put on the gauntlets, because at the beginning you’re fresh, you’re warming up, and you want to make kilometres.

Then I passed a gigantic oil depot near Uhry (the central oil depot in the Czech Republic), followed an unfortunately somewhat confusing and dangerous stretch of road, and was already climbing up a path in the forest. To the right of the path was a rubbish dump …. No, the path through the forest was quite nice, and I had also packed the waterproofs around my shoes and calves. I was already on the plateau of the Vltava river valley. After a good hour, I took a breakneck steep path down into the valley and saw the Vltava in front of me, wonderfully grey in the rain…

I stopped at a small railway station. The citizens of Nelahozeves had converted it into a kindergarten. All the little railwaymen and women are being educated there.

From there I walked all the way upstream along the Vltava. A wonderful path in fine weather. However, I constantly had to choose between getting wet from the rain or from sweat. Eventually I got out my little umbrella, and that was the right decision. The thing is tiny and weighs only about 100 g. But to protect my head and camera a little from the wet, perfect. There is a kind of overcoat over the backpack anyway, and the shoes are under boots.

At the ferry near Libice I had to cross the Vltava. I was almost startled, because the ferry boats were on the other bank and far and wide there was no one to be seen. In a tiny cottage I studied the timetable, and lo and behold, right on time the ferryman boarded the boat on the other bank and started the engine. Now everything would have been perfect if the pub had also been open at the destination of the crossing, because there were several kilometres without settlements ahead of me.

So I walked southwards, always close to the river bank. The Vltava has numerous barrages here with small hydroelectric power stations and locks. The path along the riverbank is partly a narrow path, from which a steep embankment wall drops down to the water on the right. Not for insecure walkers.

Before Rez, Komoot suggested a shortcut to cut a loop of the river. However, there were also considerable metres of altitude to climb. So I decided to cut the bend at a flatter spot, hoping to find water and maybe some food there in populated areas. But when I reached the turn-off I had chosen, I found that there was a huge factory blocking the way. So I continued along the river and took the turn-off that felt like it was eternally far away. In fact, I then passed through a small settlement. And just before I gave up hope of finding something like a bakery, I noticed a pub off the path at the sports field that was actually open and where – it was around 1 pm – three or four men were already sitting in front of the beer. Yes, certainly all shift workers… Regretful looks when I ordered a non-alcoholic beer. By the way, there is only one and the same kind of beer in the fridges of this nation.

Then fries and a piece of breaded cheese were thrown into the deep fryer for me, all good. Only boots and socks I couldn’t/wouldn’t take off, which is urgently necessary for a perfect break. But everything was clammy from the rain anyway, so even brief airing wouldn’t have helped.

None of the people present asked me a single syllable about where from and where to. Instead, everyone was staring at the big monitor on which Holland had just been beaten by Finland in basketball. It’s a bit of a shame that people here are so closed off, or sceptical or suspicious. But at least yesterday a young woman at the farm gate asked me in good English why I had come to her wasteland (I should really have asked her that too…). I explained and gave her my card. Since then, she has been following me on Instagram.

Almost all the time I’ve been walking designated Czech hiking trails for the last two days. But either there is less hiking in Bohemia, or the Czechs assume high mountain conditions. Often even the marked trails are in poor condition. Nowhere is there even a bench outside the villages, not to mention shelters, and you often have to walk through thickets. Equally rare are signs with hiking maps along the way.

The closer I got to Prague, the higher the frequency of cyclists, runners and skaters on the now better asphalted path. And the density of small kiosks also increased. I stopped at one of them and got a black tea. I was wearing my banderole with the flags of the countries to be crossed. The young couple was curious. But when I told them about my fundraising project for Ukraine, their English suddenly deteriorated. They were more on the side of the Russians, I learned, and they had some Russian friends. Of course I have them too, but among my Russian friends the oligarch quota is definitely zero. I explained: Putin will lose this war, I want to make a modest contribution to that, he must not win under any circumstances. What do they see differently from me? They couldn’t explain with their bad English… Nevertheless, I continued to talk about the recent successes of the Ukrainian army, about the Russians‘ attempt to recruit „volunteers“ from prisons and psychiatric wards. Well. I said goodbye with a few Russian sentences, they smiled and wished me well.

Shortly before Prague, there was another loop of the Vltava to cut short. This time I followed. It went up a path steeply, then I was already on the outskirts of the city in a meadow with rural buildings. Then down another steep path, through a prefabricated housing estate, then up another hill and this time I was standing on a meadow offering a fascinating panorama of the city in the evening light.

Now there are rest days in Prague, time for data sorting, pictures around texts. My feet desperately needed it. There were two small blisters on the last stage, even though the shoes don’t rub or pinch, it’s just the heavy strain. Claudia has booked a small flat for us here in Prague. There is a washing machine. And my dear wife has brought me some more things. She will also take some of my luggage, for example a heavy bar of soap, with her to Berlin.

Today I wanted to take a little nap, but my body still seems to be full of adrenalin. I feel warm all the time because I seem to have got used to cool air. It is definitely not fever.