Tag 83 der Reise, von Velletri nach Terracina, 8 km gewandert, 5 km getrampt, 60 km mit dem Bus

english below

22.11.2022

Von Velletri ging Seume in Begleitung einer Zufallsbekanntschaft, einem französischen Militär, weiter Richtung Cisterne di Latina. Seume schreibt:

„Wir aßen zusammen in Veletri und schlenderten sodann ganz vergnügt die Berge hinab in die Sümpfe hinein, die einige Stunden hinter der Stadt ihren Anfang nehmen. In Cisterne wollten wir übernachten; aber das Wirtshaus hatte die schlechteste Miene von der Welt, und die päpstlichen Dragoner trieben ein gewaltig lärmendes Wesen. Übrigens fiel mir ein, daß dieses vermutlich der Ort war, wo Horaz so sehr von den Flöhen gebissen wurde und noch andere traurige Abenteuer hatte; daß auch der Apostel Paulus hier geschlafen haben soll, ehe man ihn nach Rom in die Kerker des Kapitols einsperrte. Das war nun lauter böses Omen. Wir beschlossen also, zumal da es noch hoch am Tage war, noch eine Station weiterzuwandeln, bis Torre di tre ponti. Hier kamen wir aus dem Regen in die Traufe.“ (Torre di Ponti ist ein kleines Dorf an der Via Appia – ep)

Heute Morgen tobte noch ein heftiges Gewitter, als ich nach sechs aufwachte. Ich nahm mir also Zeit und verließ das Quartier erst nach acht. Im Preis der Übernachtung inbegriffen war ein Voucher für ein Frühstück in einer Bar. Eigentlich keine schlechte Idee. Nur führte mich Googlemaps irgendwo hin, nur nicht an die avisierte Bar, trotz korrekt eingegebener Adresse. Zufällig kam ich so an der Markthalle vorbei und deckte mich mit Obst ein. Schließlich fand ich die Bar doch, denn Francesca, meine Gastgeberin, sandte mir dann noch eine genauere Beschreibung. Das Frühstück dort war allerdings ernüchternd. Immerhin hatte ich schon Tee getrunken. Auf meine Bitte, mir bitte nichts Süßes zu servieren, entstand große Ratlosigkeit. Schließlich zeigte ich auf eine Vitrine mit Sandwichs, sowas isst natürlich kein Italiener an Morgen. Ich aß ein warmes Sandwich und danach noch ein Croissant, das es leider auch nur mit Zuckerkruste gab.

Es war schon weit nach neun, als ich endlich die Straße aus der Stadt nahm. Es hatte aufgehört zu regnen, aber die Straßen waren noch nass. Velletri ist ansonsten kein spektakulärer Ort, zumindest ergibt sich dieser Eindruck aus dem, was ich gesehen habe. Aber Regenwetter dämpft ja immer zusätzlich die Begeisterung.

Nach einigen Kilometern auf der Via Appia Nuova, die immer mal Teile der historischen Straße überbaut, führte mich Komoot endlich auf eine Nebenstraße. Von da an ging es durch Wein- und Olivengärten mit dazwischen gestreuten Häuschen. Da ging ich unter grauem Himmel und heftigem Wind bis zu einem Abzweig, der mich vergewisserte, nun wieder auf der historischen Via Appia zu sein. Diese ist heute mal Wanderweg, mal Feldweg, mal Pfad, aber in allem recht angenehm zu sehen und zu gehen.

So machte ich gut 8 km, dann stand ich wieder vor der dröhnenden Via Appia Nova. Aber die Stelle, an der ich landete, war eine gute Trampstelle. Die Geschwindigkeit war auf 60 km/h begrenz, zumindest auf den Schildern, eine breite Einmündung ließ gefahrloses Halten zu, und ich war schon von Weitem zu sehen.

In einer Kaufhalle hatte ich meine Vorräte an Nüssen und Schokolade ergänzt, aber auch große Pappteller gekauft. Einen solchen hatte ich mit TERRACINA beschriftet. Ich zog meine schlammige Regenhose aus und stellte mich in Positur. 30 Minuten wollte ich mir geben, dann weiterwandern. Doch ich hatte schon nach 15 Minuten Glück: ein netter junger Mann bot mir an, mich zum Bahnhof Cisterne di Latina zu fahren. Francesco, von Beruf Archäologe, ist selbst begeisterter Wanderer, und wir sind jetzt zumindest auf Instagram befreundet. Er hatte übrigens gehalten, weil er mich anhand meines Rucksacks einordnen konnte.

Es war erst kurz nach Mittag, und ich beschloss, mit dem Bus nach Terracine zu fahren (Züge fahren aktuell nicht direkt nach Terracine). Das Busticket kostete bescheidene 2,20 €. Die Idee, heute ein größeres Stück mit dem Bus zu fahren, hatte ich schon am gestrigen Abend. Denn Seumes Route, die Via Appia, ist für Fußgänger nur theoretisch passierbar. Abgesehen vom Verkehr und den wie immer nicht vorhandenen Fußwegen, ist die Strecke öde und gefährlich. Es ist die längste zusammenhängend geradeaus führende Straße der Welt. Sie führt weitgehend durch flaches Land, welches mit vielen Kanälen durchzogen ist. Die Routen, die Komoot hier vorschlägt, mäandern demzufolge auch in vielen rechten Winkeln neben der Straße her und machen daher gefühlt aus fünf Kilometern sieben. Ich bliebe also kaum am Original, der Route Seumes. Ein weiteres Problem sind Quartiere. Wo es weder Industrie noch Tourismus gibt, macht keiner ein Hotel auf. Ich hätte also darauf spekulieren müssen, dass ich sofort einen Lift bis nach Terracina bekomme, wenn ich weiter getrampt wäre.

Lassen wir Seume noch mal zu Wort kommen:

„Die letzte Station vor Terracina war für mich die abenteuerlichste. Die alte appische Straße geht links etwas oben an den Bergen hin und macht dadurch einen ziemlichen Umweg: aber die Neuen wollten dem Elemente zum Trotz klüger sein, und zogen sie unüberlegt genug gerade fort. Sie sieht recht schön aus, wenn sie nur gut wäre. Das Wasser war groß, ich hatte den Abweg links über eine alte Brücke nicht gemerkt, und ging die große gerade Linie immer weiter. In einer halben Stunde stand ich vor Wasser, das rechts aus der See hineingetreten war und links durch die Gebüsche weit hinauf ging. Durch den ersten Absatz schritt ich rasch; aber es kam ein zweiter und ein dritter noch größerer. Es war dabei ein furchtbarer Regensturm und ich konnte nicht zwanzig Schritte sehen. Ich ging fast eine Viertelstunde auf der Straße bis über den Gürtel im Wasser, und wußte nicht was vor mir sein würde. Einige Mal waren leere Plätze links und rechts; und da stand ich in den Einschnitten wie im Meere. Nur die Bäume, die ich dunkel durch den Regensturm sah, machten mir Mut vorwärts. Endlich war ich glücklich durch die päpstliche Stelle, und zog eine Parallele zwischen den Alten und Neuen, die eben nicht zum Vorteil meiner Zeitgenossen ausfiel. Wie ich heraus war, ward der Himmel hell, und ich sah den Berg der göttlichen Circe in der Abendsonne zu meiner Rechten und zu meiner Linken die Felsen von Terracina glänzen.“

So watete Seume durchs Wasser, wie ich gestern über Bäume kletterte. Aber Seume war eisern und ist durch, wo ich lieber umgekehrt bin.

Mein Bus fuhr übrigens über Latina, also gar nicht die Via Appia, sondern südlich von ihr. Ich glaube aber, die verregnete Landschaft vor dem Fenster hätte nicht viel anders ausgesehen. Der Busbahnhof in Latina ist groß und modern gebaut. Nur muss man das ganze Gelände ablaufen, bis man seinen Bahnsteig gefunden hat. Anzeigetafeln, gar elektronische, finden sich eher nicht.

Der Bus war übrigens sowohl von Cisterna di Latina als auch von Latina ausschließlich mit Migranten besetzt, wenn man mich da mal getrost mit einbezieht. Als ich in Latina einem dunkelhäutigen Passagier beim Aussteigen den Vortritt gab, strahlte der mich begeistert an und gab mir spontan die Hand.

Der gewanderte und getrampte Teil der Tour auf Komoot: https://www.komoot.de/tour/983652403?ref=wtd

In Velletri
Am Stadtrand von Velletri
Auf der alten Via Appia
Am Busbahnhof von Latina
Im Bus nach Latina
Auf dem Weg nach Terracina

Day 83 of the trip, from Velletri to Terracina, 8 km hiked, 5 km hitchhiked, 60 km by bus.

22.11.2022

From Velletri, Seume continued towards Cisterne di Latina accompanied by a chance acquaintance, a French military man. Seume writes:

„We ate together in Veletri and then strolled quite amusingly down the mountains into the marshes that begin a few hours beyond the town. In Cisterne we wanted to spend the night; but the inn had the worst mien in the world, and the papal dragoons were making a tremendous noise. By the way, it occurred to me that this was probably the place where Horace was so badly bitten by fleas and had other sad adventures; that the apostle Paul is also said to have slept here before he was locked up in the dungeons of the Capitol in Rome. This was a bad omen. So we decided, especially since it was still high in the day, to walk one more stop, until Torre di tre ponti. Here we came out of the frying pan into the fire.“ (Torre di Ponti is a small village on the Via Appia – ep).

This morning, a violent thunderstorm was still raging when I woke up after six. So I took my time and didn’t leave the quarters until after eight. Included in the price of the night was a voucher for breakfast in a bar. Actually not a bad idea. But Googlemaps led me somewhere, but not to the bar I wanted to go to, despite the correct address I had entered. By chance I passed the market hall and stocked up on fruit. Finally, I found the bar, because Francesca, my hostess, then sent me a more detailed description. The breakfast there, however, was sobering. After all, I had already drunk tea. Upon my request to please not serve me anything sweet, there was great perplexity. Finally I pointed to a display case with sandwiches, of course no Italian eats such things in the morning. I ate a warm sandwich and then another croissant, which unfortunately also only came with a sugar crust.

It was well past nine when I finally took the road out of town. It had stopped raining, but the streets were still wet. Velletri is not otherwise a spectacular place, at least that’s the impression I get from what I saw. But rainy weather always additionally dampens enthusiasm.

After a few kilometers on the Via Appia Nuova, which always overbuilds parts of the historic road, Komoot finally led me to a side road. From then on it went through vineyards and olive groves with little houses scattered in between. There I went under gray skies and fierce wind to a junction that assured me to be now back on the historic Via Appia. This is today sometimes hiking trail, sometimes dirt road, sometimes path, but in all quite pleasant to see and walk.

So I made a good 8 km, then I was again in front of the droning Via Appia Nova. But the place where I ended up was a good tramp. The speed was limited to 60 km/h, at least on the signs, a wide junction allowed stopping without danger, and I was visible from a distance.

In a department store I had replenished my supplies of nuts and chocolate, but also bought large paper plates. One such I had labeled TERRACINA. I took off my muddy rain pants and posed. I wanted to give myself 30 minutes, then continue hiking. But I was lucky after only 15 minutes: a nice young man offered to drive me to the Cisterne di Latina train station. Francesco, an archaeologist by profession, is himself an avid hiker, and we are now friends at least on Instagram. He had stopped, by the way, because he could classify me by my backpack.

It was just after noon, and I decided to take the bus to Terracine (trains do not currently go directly to Terracine). The bus ticket cost a modest €2.20. The idea to go today a larger piece by bus, I had already yesterday evening. Because Seume’s route, the Via Appia, is only theoretically passable for pedestrians. Apart from the traffic and the as always non-existent footpaths, the route is desolate and dangerous. It is the longest continuous straight road in the world. It passes largely through flat land, which is crisscrossed with many canals. The routes that Komoot suggests here consequently also meander in many right angles next to the road and therefore make what feels like five kilometers into seven. So I would hardly stay at the original, Seume’s route. Another problem are neighborhoods. Where there is neither industry nor tourism, nobody opens a hotel. So I would have had to speculate that I would immediately get a lift to Terracina if I had kept on hitchhiking.

Let’s let Seume have his say again:

„The last station before Terracina was for me the most adventurous. The old Appian road goes to the left a little up by the mountains, and thus makes quite a detour: but the newcomers wanted to be wiser in defiance of the element, and rashly enough drew it straight away. It looks quite nice, if only it were good. The water was big, I had not noticed the detour to the left over an old bridge, and went the big straight line on and on. In half an hour I stood in front of water that had entered from the lake on the right and went far up through the bushes on the left. Through the first paragraph I stepped quickly; but there came a second and a third still greater. There was a terrible rainstorm at this, and I could not see twenty paces. I walked almost a quarter of an hour on the road until above the belt in the water, and did not know what would be in front of me. A few times there were empty places on the left and on the right; and there I stood in the cuts as in the sea. Only the trees, which I saw darkly through the rainstorm, encouraged me forward. At last I was happily through the papal place, and drew a parallel between the old and the new, which was not to the advantage of my contemporaries. As I was out, the sky grew bright, and I saw the mountain of the divine Circe shining in the evening sun on my right, and on my left the rocks of Terracina.“

So Seume waded through the water, as I climbed over trees yesterday. But Seume was ironclad and passed through where I preferred to turn back.

My bus, by the way, went via Latina, so not the Via Appia at all, but south of it. But I don’t think the rainy landscape outside the window would have looked much different. The bus station in Latina is large and modernly built. The only thing is that you have to walk the whole area until you find your platform. Display boards, even electronic ones, are rather not to be found.

By the way, the bus from Cisterna di Latina as well as from Latina was occupied exclusively by migrants, if one includes me there confidently. When I gave way to a dark-skinned passenger in Latina, he smiled stunnished at me enthusiastically and spontaneously shook my hand.