Tag 97 der Reise, von Villagio Mose über Palma di Monteciaro nach Ciotta, 27 km

english below

06.12.2022

Heute bin ich mal wieder eine längere Strecke gegangen. Damit liege ich gut im Plan und werde in Syrakus gewiss noch Zeit für einen Gang an die Arethusa-Quelle haben, dem eigentlichen Ziel von Seumes Reise.

Mein Weg führte mich heute ganz überwiegend über Feldwege und kleine Straßen, dabei vor allem über die Vorgängerroute der heutigen SS115. Die neue Straße ist für Fußgänger und eigentlich auch Radfahrer weitgehend unpassierbar. Keine Fußwege ist ja normal in Italien. Hier aber geht es oft durch enge Geländeeinschnitte, durch Tunnel und über lange Brücken. Die alte Route windet sich hingegen in vielen Kurven durch die Täler. Sie ist jedoch, da vermutlich nur noch für die Landwirtschaft und den lokalen Verkehr genutzt, in einem schlechten Zustand, vor allem dort, wo sie nur noch Feldwegniveau hat. Da gibt es oft, große Pfützen und Schlammlöcher zu umkurven, was nicht immer gut geht. Ein paar Mal dachte ich: ok, jetzt schlurfe ich mal ein wenig durchs Gras, dass die Schuhe wieder sauber werden, dann kam das nächste Schlammloch. Alles ist noch sehr nass von den Regenfällen der letzten Woche. Ich jedoch hatte auch heute Glück mit dem Wetter. Nur am Nachmittag zog sich der Himmel zu, aber es blieb trocken.

Die Gegend ist dünn besiedelt, es gibt vor allem einzelnstehende Häuser und viele verlassene, zum Teil stark verfallene Gehöfte. Die Landschaft ist geprägt durch riesige Gewächshausflächen, in Folien und Netze eingehüllte Obstplantagen und gelegentlich Solarpaneele. Auch Windräder sah ich hier zum ersten Mal auf italienischem Boden. Diese glänzenden Plastikflächen der Folienzelte kann man mit Wohlwollen als Landart wahrnehmen. Es ist ohnehin alles kahl, sieht man von Olivenhainen ab, die sich selten auf die Berghänge ziehen. Wer aber in Deutschland die angebliche Verspargelung der Landschaft beklagt, sollte sich hier in Sizilien einmal Gedanken machen, wie und womit sein Gemüse produziert wird.

In Palma di Monteciaro wollte ich etwas essen. Bei einem Bäcker kaufte ich Brot und ließ mir ein Stück Pizza warm machen. Das ist immer so eine Sache: Ich will gern einmal am Tag etwas Warmes essen. Aber wenn die Pizza (wie hier leider oft üblich) aus der Mikrowelle kommt, ist das ein labberiges feuchtes Teil. Noch schlimmer war es heute, denn die Pizza war mit Pommes belegt. Immerhin Kartoffel, aber eben recht matschig.

Heute bin ich vier Menschen begegnet, die entweder aus Deutschland zu Besuch da waren oder längere Zeit in Deutschland gearbeitet haben. Am interessantesten war ein Gespräch mit einem Gemüsehändler und dessen Frau, bei sprachen recht gut Deutsch. Er beklagte sich über die Verhältnisse auf Sizilien. Die Jungen ziehen weg, es gibt eine hohe Arbeitslosigkeit und die Älteren haben keine Kaufkraft. Die gestiegenen Energiekosten zwingen ihn, abends kellnern zu gehen. Sein Sohn tut Gleiches in Berlin. Die Steuern seien zu hoch, und viele gehen gar nicht erst arbeiten und kassieren Sozialhilfe. Dagegen, gegen die hohe Sozialhilfe, wolle nun Meloni endlich vorgehen, meinte er. Ich fragte ihn, ob das denn der fehlenden Kaufkraft in Sizilien helfen würde. Wir waren uns einig, dass es eigentlich einen ordentlichen Mindestlohn geben müsse, der unter Meloni nicht zu erwarten sei. Aber auch er hat offensichtlich Meloni gewählt oder findet sie irgendwie gut.

Ich lobte die Italiener ob ihrer Freundlichkeit. Da widersprach er: wenn ein Fremder kommt, ist man freundlich. Aber untereinander im Dorf oder eben in dieser kleinen Stadt seien die Leute oft wie Hund und Katze und vom Neid zerfressen.

Hinter Palma di Monteciaro bin ich noch ein Stück weitergegangen bis an die Küste, nach Ciotta, wo ich ein günstiges Zimmer fand. Nicol und Luigi kamen aber nur kurz vorbei an ihrem Ferienwohnungspalast und wiesen mich ein. Es gibt wohl um die acht Zimmer in diesem Anwesen,  das ich nun hüte, um morgen früh alle Schalter wieder umzulegen und den Schlüssel in den Briefkasten zu werfen.

Der Weg hinter meinem Quartier heute früh
Landart
Die Kirche in Monteciaro. Vor der Treppe ein Maserati mit dem Paar. Gegrüßt wurde ich von einem Gast aus Mannheim.
Blich von Monteciaro zum Meer
Das Kloster in der Altstadt – so tot wie die Benediktiner, die hier mal lebten oder noch leben.
Monteciaro von Osten
Die Stadt franst aus in diverse Neubaugebiete. Ein Bauwerk der Kirchenindustrie darf nicht fehlen.
Unterwegs traf ich auf einen alten Bahndamm mit einem leer stehenden Bahngebäude.
Auf dem Weg zur Küste
Die Wiesen zwischen den Olivenbäumen sind übersät von blühenden Rauken-Doppelsamen, mein Flora Incognita.
Es gibt Schafe in der Gegend und Ziegen. Ein noch junger aber bereits zahnloser Hirte sprach mich an. Wir konnten uns nicht verständigen. Er meinte irgendwas mit „Monachium belle“. Vielleicht meinte er den Fußballverein.
Und wieder hätte ich einen ganzen LKW füllen können mit dem Müll, der entlang der Strecke herumlag.
Bizarre Felsen auf dem Weg nach Ciotta
Blick Richtung Licata

Day 97 of the trip, from Villagio Mose to Ciotta via Palma di Monteciaro, 27 km.

06.12.2022

Today I walked a longer distance again. So I’m well on schedule and will certainly have time in Syracuse for a walk to the Arethusa spring, the actual destination of Seume’s journey.

My way led me today quite predominantly over field paths and small roads, thereby above all over the predecessor route of the today’s SS115. The new road is largely impassable for pedestrians and actually also cyclists. No footpaths is normal in Italy. Here, however, it often goes through narrow terrain cuts, through tunnels and over long bridges. The old route, on the other hand, winds through the valleys in many curves. However, since it is probably only used for agriculture and local traffic, it is in poor condition, especially where it is only dirt road level. There is often, large puddles and mud holes to turn around, which does not always go well. A few times I thought: ok, now I’ll walk a little through the grass, that the shoes are clean again, then came the next mud hole. Everything is still very wet from the rains of the last week. I, however, was also lucky with the weather today. Only in the afternoon the sky tightened, but it remained dry.

The area is sparsely populated, there are mainly single houses and many abandoned, partly heavily dilapidated homesteads. The landscape is dominated by vast expanses of greenhouses, orchards wrapped in film and netting, and the occasional solar panel. I also saw wind turbines here for the first time on Italian soil. These shiny plastic surfaces of the foil tents can be perceived with goodwill as land art. It’s all bare anyway, except for olive groves, which rarely extend onto the hillsides. But anyone in Germany who complains about the alleged overdevelopment of the landscape should think about how and with what their vegetables are produced here in Sicily.

In Palma di Monteciaro I wanted to eat something. I bought bread at a bakery and had a piece of pizza heated. That is always such a thing: I would like to eat something warm once a day. But when the pizza comes out of the microwave (as is often the case here, unfortunately), it’s a soggy moist thing. It was even worse today, because the pizza was topped with fries. At least potato, but just quite mushy.

Today I met four people who were either visiting from Germany or had worked in Germany for some time. Most interesting was a conversation with a greengrocer and his wife, both spoke quite good German. He complained about the conditions in Sicily. The young are moving away, there is high unemployment and the elderly have no purchasing power. The increased energy costs force him to go waitressing in the evenings. His son does the same in Berlin. Taxes are too high, he says, and many don’t even go to work and collect welfare. Against this, against the high social welfare, Meloni now finally wants to take action, he said. I asked him if that would help the lack of purchasing power in Sicily. We agreed that there should actually be a proper minimum wage, which is not to be expected under Meloni. But he, too, obviously voted for Meloni or somehow thinks she’s good.

I praised the Italians for their friendliness. He disagreed: when a stranger comes, they are friendly. But among themselves in the village or even in this small town, people are often like cats and dogs and eaten up by envy.

After Palma di Monteciaro I went a little further to the coast, to Ciotta, where I found a cheap room. Nicol and Luigi, however, only briefly passed by their vacation palace and showed me in. There are probably about eight rooms in this property, which I now guard to flip all the switches again tomorrow morning and throw the key in the mailbox.