Tage 66 und 67 der Reise, Ruhetag in Rimini, von Rimini nach Gabicce Monte, 24 km

english below

06.11.2022

Im November ein ganztägiger Spaziergang am Meer bei strahlendem Sonnenschein – das ist schon cool. Andererseits: über 20 km Hotel an Hotel in mehreren Linien gestaffelt und davor ein Wust an, Bespaßungsutensilien, Umkleidekabinen, Duschen, monströsen Plastikspielsachen, Netzen, Zäunen, Becken, Buden, Booten. Aber der eigentliche Strand war vollkommen leer, flach und breit. Nur die Spuren des nächtlichen Regens waren zu sehen, als ich nach einigen Kilometern durch die Stadt endlich am Meer war.

Rimini ist gut gewesen für einen Ruhetag. Ich hatte ein geräumiges Quartier, habe abends gekocht, mein Frühstück selbst gemacht. Den ganzen Tag gab es schwarzen Tee, für den ich das Wasser in einem riesigen Topf (es war der einzige) zubereitet habe, ordentlich viel Obst. Erst Bürokram, gemütlich im Bett, und dann Einkäufe. Schwarzer Tee und die passenden Rasierklingen – das waren so die Herausforderungen, die mich einige Zeit durch die Altstadt traben ließen. Wer aber nicht die extrakleinen Tuben mit Zahnpasta sucht, sondern Brillengestelle, Mode, Schuhe oder den perfekten Espresso – der ist in dieser Stadt richtig. Angenehme autofreie Altstadt

Am Nachmittag habe ich das Museum für zeitgenössische Kunst angesehen in einem riesigen alten Palazzo. Aber die Sammlung hat mich nicht überzeugt. Eine wenig konsistente Auswahl italienischer Gegenwartsarbeiten, mittelmäßig kuratiert. Am beeindruckendsten eine riesige Fotografie von Vanessa Beecroft, die nun keine Italienerin ist. Das Motiv: weiße Frau in weißem Kleid mit zwei schwarzen Säuglingen an den Brüsten. Habt ihr Fotografieinteressierten alle schon mal gesehen.

Beim nachmittäglichen Schlendern betrat ich auch das Theater und stellte fest, dass es abends ein Konzert gibt. Ich bekam eine Karte und saß für 15,00 € im Parkett, vierte Reihe Mitte. Beim Nennen des Preises (auf Italienisch) verstand ich erst 50,00 € und hätte dies zähneknirschend akzeptiert, denn es war für mich ja auch das Eintrittsgeld in einen historischen Saal.

Es spielte ein Kammerensemble junger Leute die zwölf deutschen Tänze von Beethoven, dann Tänze von Bartok und Lieder von Schubert. Sauber, aber auch nix, was große Virtuosität erfordert, was jetzt nicht herabwürdigend gemeint ist. Schlimm jedoch war ein Moderator, der vor Beginn des Konzerts und nach der Pause ausufernd die Musik erklärte, und sich dabei peinlich in seiner Rolle gefiel. Merkwürdig auch das Publikum, denn es blieb in der Pause zu großen Teilen einfach auf den Sesseln sitzen. Aber wozu aufstehen? Die Italiener haben immer was zu reden. Der Saal war übrigens reichlich mit Stuck dekoriert, nur leider neueren Datums. Und Seume ist ausgerechnet in Rimini nicht ins Theater gegangen. Aber wenigstens einmal wollte ich es seinem Eifer gleichtun, denn in allen größeren Städten ging er während seiner Reise abends ins Theater oder in die Oper. Die Leute im Saal wollten zwei Zugaben, ich bin schon vorher immer mal kurz eingenickt, war auch das lange Sitzen nicht mehr gewohnt. So war ich erst gegen Mitternacht wieder im Quartier. Das war zum Glück ein kurzer Weg. Als ich aber aus dem Theater trat, war der Platz davor voll wie bei einer Demonstration,  die Stadt noch voller Leben, alles in lauter fröhlicher Stimmung.

Aber heute hat es mir alle Müdigkeit aus den Gliedern gepustet. Diese Strandlandschaft hat etwas dystopisches außerhalb der Saison. Und ich war sehr froh, dass keine Saison ist, denn ich mag mir nicht ausmalen, wie diese Urlaubsmaschine lärmt, wenn sie mit voller Kraft losdröhnt und sich die Massen über die Promenade wälzen. So teilte ich den Weg mit Joggern und Spaziergängern, mehr oder weniger sportlich unterwegs.

Ein ziemlich sportliches Paar sprach mich an, und wir sind dann einige Kilometer nebeneinander gelaufen und konnten uns gut verständigen, denn er sprach Deutsch und Englisch. Themen waren Seume, das Wandern, vor allem das einsame Wandern. Die beiden gehen regelmäßig am Strand spazieren. Als sie am Auto anlangten, wollten sie mich noch auf ein Glas Wein einladen. Aber das Cafe nebenan, in dem sie morgens noch ihr kleines italienisches Frühstück nahmen, hatte Siesta. Da mussten wir lachen über diesen gravieren Unterschied zu Deutschland. Da lob ich mir doch mein Neukölln, in dem die Bäcker schon oder noch morgens um vier offen haben.

An der Strecke gab es noch einiges zu sehen: einen Protzbau von Mussolini vor Cattolica, der nun ein großes Aquarium birgt, eine Marina mit Booten für vermögende Zweitwohnungsbesitzer und einen richtigen Fischereihafen mit vielen kleinen Kuttern.

Seume ist hier nicht entlang der Küste gelaufen, sondern er nahm gewiss die weiter im Land liegende Straße. Über Rimini schreibt er:

„In Rimini schlief ich gewiß ruhiger, als der mächtige Julius nach seinem Übergange und dem geworfenen Würfel geschlafen haben mag. Vor der Stadt sind einige herrliche Aussichten. Auf dem Platze della Fontana steht der heilige Gaudentius von Bronze, der eine gar stattliche Figur macht. Auch ein Papst Paul, ich weiß nicht welcher, hat hier ein Monument für eine Wasserleitung, die er den Bürgern von Rimini bauen ließ. Eine Wasserleitung halte ich überall für eins der wichtigsten Werke und für eine der größten Wohltaten; und hier in Italien ist es doppelt so. Wenn ein Papst eine recht schöne wohltätige Wasserleitung bauet, kann man ihm fast vergeben, daß er Papst ist.“

Mein Quartier liegt in der Etage über einem schönen Café auf einem Hügel, ein Stück südlich von Cattolica. Nicht nur die Aussicht auf die Bucht ist phantastisch. Auch die Wirtin, eine Kubanerin, ist sehr, sehr nett. Jetzt rennt sie in die Küche, um extra für mich noch ein Abendessen zu bereiten. Das Café ist eigentlich geschlossen, aber ich sitze immer noch auf dem Sofa und schreibe.

Über diesen Platz führt die Corso di Augusto, hinten das Stadttor Richtung Süden
Der von Seume erwähnte Papst, links hinten des Theater, Rechts das Museum für moderne Kunst
Das Castel Sismondo beherbergt das Fellini-Museum
Eine Gasse in der Altstadt
Was mir nicht so klar war: auch viele italienische Städte wurden im 2. Weltkreig erheblich zerstört. Viele Gebäude wurden bis heute nicht wieder aufgebaut oder einfach durch Neubauten ersetzt.
Dort endet u.a. die erwähnte päpsliche Wasserleitung: alte Makrthalle mit Fleisch- bzw. Fischbänken
Das südliche Stadttor, Seumes Weg
Strand bei Rimini
Bald geht die Saison los
Die Tauchschule hat geschlossen
Begegnung unterwges. Auf der Freundlichkeitsskala steht Italien uneinholbar weit oben
Investobjekt mit Marina
Investobjekt ohne Marina
Könnte auch ein Hochregallager für Artilleriegranaten sein (Hotel)
Der Fischereihafen von Cattolica
Blick vom Hotel auf die Bucht

Days 66 and 67 of the trip, rest day in Rimini, from Rimini to Gabicce Monte, 24 km

06.11.2022

In November, a full day walk by the sea in bright sunshine – that’s cool. On the other hand: over 20 km hotel to hotel staggered in several lines and in front a jumble of, Bespaßungsutensilien, changing rooms, showers, monstrous plastic toys, nets, fences, pools, stalls, boats. But the actual beach was completely empty, flat and wide. Only the traces of the night’s rain were visible when, after a few kilometers through the city, I finally reached the sea.

Rimini had been good for a rest day. I had spacious quarters, cooked in the evening, made my own breakfast. All day there was black tea, for which I prepared the water in a huge pot (it was the only one), neat fruit. First office stuff, cozy in bed, and then shopping. Black tea and the appropriate razor blades – those were so the challenges that let me trot some time through the old town. But if you’re not looking for the extra-small tubes of toothpaste, but for eyeglass frames, fashion, shoes, or the perfect espresso – this is the city for you. Pleasant car-free old town

In the afternoon I looked at the Museum of Contemporary Art in a huge old palazzo. But the collection didn’t convince me. A less than consistent selection of Italian contemporary works, mediocrely curated. Most impressive a huge photograph by Vanessa Beecroft, who is now not Italian. The subject: white woman in white dress with two black babies on her breasts. Have all of you photography enthusiasts seen it before.

While strolling around in the afternoon, I also entered the theater and found that there was a concert in the evening. I got a ticket and sat in the stalls for €15.00, fourth row center. When I was told the price (in Italian), I only understood 50.00 € and would have grudgingly accepted this, because it was for me also the entrance fee to a historic hall.

A chamber ensemble of young people played the twelve German dances by Beethoven, then dances by Bartok and songs by Schubert. Clean, but also nothing that requires great virtuosity, which is not meant disparagingly. What was terrible, however, was a moderator, who before the beginning of the concert and after the intermission explained the music at length, embarrassingly enjoying his role. Strange also the audience, because it remained in the break to large parts simply on the armchairs. But why get up? The Italians always have something to talk about. By the way, the hall was richly decorated with stucco, but unfortunately of recent date. And Seume, of all people, did not go to the theater in Rimini. But at least once I wanted to emulate his zeal, because in all major cities he went to the theater or opera in the evening during his trip. The people in the hall wanted two encores, I had already dozed off every now and then, and was no longer used to sitting for long periods. So I was back in my quarters only around midnight. Fortunately, it was a short walk. But when I stepped out of the theater, the square in front of it was full like at a demonstration, the city still full of life, everything in a loud happy mood.

But today it blew all the tiredness out of my limbs. This beach landscape has something dystopian out of season. And I was very glad that it’s not the season, because I don’t like to imagine how this vacation machine makes noise when it roars off at full speed and the masses roll along the promenade. So I shared the path with joggers and walkers, more or less sporty on the road.

A rather sporty couple approached me and we then walked a few kilometers side by side and could communicate well, because he spoke German and English. Topics were Seume, hiking, especially solitary walking. The two of them walk regularly on the beach. When they arrived at the car, they wanted to invite me for a glass of wine. But the cafe next door, where they still had their small Italian breakfast in the morning, had siesta. We had to laugh about this serious difference to Germany. I praise my Neukölln, where the bakers are already or still open at four in the morning.

Along the way there was still a lot to see: a swank building by Mussolini in front of Cattolica, which now houses a large aquarium, a marina with boats for wealthy second home owners and a real fishing port with many small boats.

Seume did not walk along the coast here, but he certainly took the road further inland. About Rimini he writes:

„In Rimini, I certainly slept more peacefully than the mighty Julius might have after his passage and the thrown die. Outside the city are some splendid views. In Piazza della Fontana stands the bronze St. Gaudentius, who cuts quite a stately figure. Also a Pope Paul, I don’t know which one, has a monument here for a water pipe he had built for the citizens of Rimini. I consider a water pipe to be one of the most important works and one of the greatest benefits everywhere; and here in Italy it is doubly so. When a pope builds a rather beautiful charitable aqueduct, one can almost forgive him for being pope.“

My room on the floor above a beautiful café on a hill a short distance south of Cattolica. Not only is the view of the bay fantastic. The landlady, a Cuban woman, is also very, very nice. Now she runs into the kitchen to prepare another dinner especially for me. The café is actually closed, but I still sit on the sofa and write.