Tage 93 und 94 der Reise, Neapel

english below

02. und 03.12.2022

Seume schreibt 1802:

„Neapel sollte, deucht mir, eine bessere Kathedrale haben. Das vorzüglichste darin sind einige merkwürdige Grabsteine und die Kapelle des Heiligen. Dieses ist aber nicht der Ort, wo er gewöhnlich schwitzen muß; das geschieht vor der Stadt in dem Hospital bei den Katakomben. In den Katakomben kroch ich über eine Stunde herum, und beschaute das unterirdische Wesen, und hörte die Gelehrsamkeit des Cicerone, der, wie ich vermute, Glöckner des Hospitals war. Über den Grüften ist ein Teil des Gartens von Capo di monte. Der Führer erzählte mir eine Menge Wunder, welche die Heiligen Januarius und Severus hier ganz gewiß getan haben, und ich war unterdessen mit meinen Konjekturen bei der Entstehung dieser Grüfte. Hier und da lagen in den Einschnitten der Zellen noch Skelette, und zuweilen ganze große Haufen von Knochen, wie man sagte, von der Zeit der großen Pest.“

In den Katakomben war ich heute auch, allerdings gewiss in einem anderen Bereich als Seume. Man hat Zutritt, wenn man eine Führung bucht und dann von einem unterirdischen Parkhaus einen Stollen betritt. Die Katakomben hier dienten der Baustoffgewinnung im Mittelalter, man brach unterirdisch Tuff. Sie dienten dem Militär als Verbindungsweg zwischen Teilen der Stadt in der Zeit der Bourbonen, sie dienten als Trinkwasserspeicher, als Schutz vor Fliegerbomben (erst vor amerikanischen, dann vor deutschen) und bis einige Jahre nach dem Krieg als unterirdische Wohnungen für die Ärmsten. Schließlich wurden in ihnen konfiszierte Fahrzeuge gelagert, die von Polizei und Finanzamt beschlagnahmt wurden, und zuletzt allerlei Müll. Engagierte Bürger haben dann Einiges für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es gibt wohl unter Neapel mehr als 250 bekannte Hohlräume.

Das von Seume erwähnte Blutwunder in der Kathedrale verzückt die Menschen bis heute, wie überhaupt ein großer Wunderglaube das Land beherrscht. Um aber in die entscheidende Seitenkapelle mit der Reliquie vorzudringen, hätten wir drei Euro zahlen sollen. So wundergläubig waren wir dann doch nicht. Dieses spezielle Wunder besteht übrigens aus einem Glas mit Blut eines Heiligen, welches sich an einem bestimmten Tag im November verflüssigen muss, damit das Folgejahr gut wird und nicht z.B. der Vesuv ausbricht, oder die Cholera, oder der Krieg.

Mitten im Gewühl der Altstadt trafen wir auf drei laut singende und spielende Musiker, deren einer sich auch mal ein Frau zum Tanzen schnappte. Gute Erinnerungen an meine Zeit als Folk-Musiker.

Einen Besuch statteten wir dem Museum für zeitgenössische Kunst, dem MADRE ab, wo u.a. Arbeiten von Fina Miralles und Bruna Esposito zu sehen waren.

Ansonsten tobt das Jugendleben bis spät in die Nacht in den zahllosen Bars und Kneipen. Vor allem unter unserem Fenster am Bellini-Platz.

Die letzte Nacht waren aber auch wir nicht zu Hause, sondern in der Oper, einem imposanten Bau aus den 18. Jahrhundert. Es gab Verdis „Don Carlos“. Ein leider etwas langatmiges Stück in einer nicht sehr aufregenden Inszenierung, musikalisch aber toll dargeboten.

Straßenmusik
In den Katakomben von Neapel
Katakomben
In der Kathedrale von Neapel
Der Blick aus dem Fenster des MAGA war ebenso spannend wie die im Inneren gezeigte Ausstellung
Gegenüber der Oper eine imposante historische Einkaufspassage
Börsensaal in der Handelskammer mit historischer Kurstafel
Platz eines mobilen Händlers bei Nacht
Altar im Hinterhof
Altar an der Hauswand mit Bildern Verstorbener (vermuten wir jedenfalls)
Vermutlich ist die Pflegeperson dieses Hauswandheiligtums inzwischen selbst heilig

Days 93 and 94 of the trip, Naples

  1. and 03.12.2022

Seume:

„Naples should, it seems to me, have a better cathedral. The most exquisite thing in it are some strange tombstones and the chapel of the saint. But this is not the place where he usually has to sweat; that happens outside the city in the hospital near the catacombs. In the catacombs I crawled around for over an hour, looking at the subterranean creature, and listening to the erudition of the Cicerone, who I assume was the bell ringer of the hospital. Above the tombs is part of the garden of Capo di monte. The guide told me a lot of miracles that St. Januarius and St. Severus certainly did here, and I was meanwhile with my conjectures at the origin of these tombs. Here and there in the incisions of the cells still lay skeletons, and at times whole great heaps of bones, as they said, from the time of the great plague.“

I was also in the catacombs today, though certainly in a different area than Seume. You gain access by booking a guided tour and then entering a gallery from an underground parking garage. The catacombs here were used for the extraction of building materials in the Middle Ages, tuff was quarried underground. They served the military as a connecting route between parts of the city during the Bourbon period, they were used to store drinking water, as protection from aerial bombs (first American, then German) and, until a few years after the war, as underground housing for the poorest. Finally, confiscated vehicles were stored in them, confiscated by the police and the tax office, and finally all kinds of garbage. Dedicated citizens then made some of it accessible to the public. There are probably more than 250 known cavities under Naples.

The miracle of the blood in the cathedral enraptures people to this day, just as a great belief in miracles dominates the country in general. But to enter the crucial side chapel with the relic, we should have paid three euros. We were not that faithful in miracles after all. This particular miracle, by the way, consists of a jar of a saint’s blood that must liquefy on a certain day in November so that the following year will be good and not, for example, Vesuvius break out, or cholera, or war.

In the middle of the hustle and bustle of the old town we met three loudly singing and playing musicians, one of whom also grabbed a woman to dance with. Good memories of my time as a folk musician.

We paid a visit to the Museum of Contemporary Art, the MADRE, where works by Fina Miralles and Bruna Esposito, among others, were on display.

Otherwise, the youth life rages until late at night in the countless bars and pubs. Especially under our window at Bellini Square.

The last night, however, we were not at home either, but at the opera, an imposing building from the 18th century. There was Verdi’s „Don Carlos“. Unfortunately, a somewhat lengthy piece in a not very exciting staging, but musically presented in a great way.