Unser Institut und Bulgakov

Heute sind wir als erstes in unser „Institut“ gefahren und gelaufen. Dort nahm uns Sophie in Empfang. Sie hat ein wenig von ihrer Zeit in Kyiv erzählt.

Viel morbider Sowjetcharm. Aber eine bunte Mischung kreativer Menschen.

Da sie noch einige Besorgungen im Haus zu machen hatte (eine geborgte Bohrmaschine zurückbringen, einen geliehenen Schlafsack…) sind wir mit ihr durch das Haus gezogen und haben dabei gleich einige interessante Menschen kennengelernt, letztlich aber auch, weil wir beherzt in angelehnte Türen reingeschaut haben. So gehören zu unseren zukünftigen Nachbarn u.a. Yussuf, der Latexkleidung für Fetischisten näht, Micha und Wolodja, die Elektrogitarren bauen. Alle drei exportieren vor allem in die USA. Ein kleines Team, welches einen selbstfahrenden Wagen entwickelt, mit dem man Verwundete bergen kann, die Jungs vom T-shirt-Druck-Shop und den Betreiber des Copyshops, der für Norman gleich ein paar Bilder ausgedruckt hat, auf Pump, denn wir hatten immer noch kein Bargeld geholt. Aber endlich hat uns Sophie den Schlüssel zu unserem zukünftigen Atelier geben können, in dem ein französisches Team ein Interview drehte.

Sophie fährt am Wochenende zurück nach Deutschland. Sie kennt viele der Nachbarn, weil sie bei dem warmen Wetter, welches es hier noch vor kurzem gab, auf dem leidlich begrünten Hof des Instituts ein Picknick veranstaltet hat. Episode am Rand: beim Ausbreiten des großen Tischtuchs auf dem Rasen kam ein kleines Raketenteil zum Vorschein, was hier vor einigen Tagen unbemerkt auf dem Boden niederging.

Vom Institut sind wir quer durch Kyivs Hügel zum Geburtshaus von Michail Bulgakov gewandert. Das ist der Autor meines meiner liebsten Bücher: „Der Meister und Margarita“. Der Weg dahin führte uns durch eine Stadtlandschaft mit wild in die Gegend gestreuten großen Solitärbauten, Investorengold aller Art, auch eine nagelneue Moschee lag am Weg. Es ist erstaunlich, dass gefühlt auf sämtlichen Baustellen weitergearbeitet wird, sich trotzig die Kräne drehen über den Hochhäusern.

Neue Moschee in der Hauptstadt des „Naziregimes“? Wie weltfremd ist die russische Propaganda?

Blick auf die Andreaskirche, dort wurde Bulgakov getauft

Die Büste an Bulgakovs Haus war mit roter Farbe beworfen – Zeichen des allgemeinen Frustes auf alles Russische. Kaum zu verstehen, denn einer der bekanntesten Söhne Kyivs erlebte in seiner Wahlheimat Moskau Jahrzehnte des faktischen Publikationsverbots mit schlecht bezahlten Assistentenjobs an Theatern. Erst Jahre nach dem Tode Stalins und 27 Jahre nach Bulgakovs Tod wurde sein bedeutendster Roman veröffentlicht – zunächst nur in einer Literaturzeitschrift, um schließlich 1974 endlich in den Druck zu gehen.

In der Nähe des Andreassteigs, wo das gesuchte Haus steht, wurde ein ganzes Stadtviertel in einem gefakten historisierenden Stil des frühen zwanzigsten Jahrhunderts nachgebaut. Vor manchem Haus stand ich mit Norman diskutierend, ob das nun Beton oder übertriebene Altbausanierung ist.

Investorengold auf Alt gemacht.

Heute haben wir dann doch einige dratischere Zeichen des Krieges im Statdraum gesehen:

Schützenlöcher neben einem Checkpoint an einer Straße in den Außenbezirken am Rande eines kleinen Parkes
Sandsäcke vor den Fenstern des „Hauses für kreative Kinder“

Schon fast im Dunkeln sind wir auf die Suche nach einem empfohlenen Fotografieladen gegangen, um dort festzustellen, dass Filme in der Ukraine um Einiges teurer sind als in Deutschland. Wir waren den ganzen Tag unterwegs und sind mehr als 15 km gelaufen. Die Stadt ist einfach sehr groß. Und Blutspenden waren wir leider noch nicht.