Tag 34 und Tag 35 der Reise Ruhetag in Graz, von Graz nach Lebring, 30 km

04. und 05.10.22

In Graz musste sich nicht nur mein lädierter Fuß erholen, ich musste auch meine Erklärung auskurieren. Beides ist gelungen. Die 30 km heute habe ich gut verkraftet. In Graz erst mal Bürokram, Vitaminbombe und Obst einkaufen, vergeblich nach Teeladen gesucht.

Am Nachmittag war ich dann wieder so fit (und motiviert), dass ich nach dem Einkaufen und einem kleinen Stadtrundgang auch noch ins Kunsthaus gegangen bin. Ein mutiger Bau, in dem auch Camera Austria residiert. Graz ist auf jeden Fall eine zweite Reise wert. Mal sehen, ob wir da für das kommende Jahr einen Wohnungstausch organisiert bekommen.

Heute früh war es noch so kalt (ca. 5 °C), dass ich doch glatt meine Pantalons (lange Unterhose) in Betrieb genommen habe und in dicker Wattejacke losgelaufen bin. Beides konnte ich einige Stunden später wieder ablegen, denn es gab komfortable 20 °C.

Man kann in Graz schon in der Innenstadt einen Weg direkt an der Muhr nehmen, und läuft damit quasi in der Senke des Flusses fernab vom Lärm der Stadt. Dabei durchquert man diverse Parks und kann beobachten, wie die Bürger versucht haben, aus dem miesen geraden Kanal, in den die Muhr hier gezwungen ist, wieder sowas wie einen Fluss zu machen. Aber allein ein paar Stadtmöbel, ein in den Kanal geschobenes hölzernes „Sonnendeck“ und ein wenig Standbarschnickschnack,, oder gar Versuche von Häfen reichen da nicht. Klar, ist die Energie der Muhr besser auszubeuten, sind ihre Hochwässer eher zu ertragen, wenn sie in einen begradigten Kanal zwischen die Deiche gezwungen ist. Aber dann ist sie eben kein Fluss mehr, der ein wenig unberechenbar ist, sein Bett immer wieder neu formt, Mäander und Seitenarme bildet. Die Grazer nennen diese Landschaft im Süden der Stadt allen Erstes Muhraue. Aber es ist auch keine Aue mehr.

Kurz vor Großsulz hat man etwas Wasser aus der Muhr abgezweigt und durch den Wald geführt. Diese kleinen künstlichen Flüsschen sind mal über, mal unter dem Höhenniveau der Muhr und sollen den Wald wieder ein wenig mit Wasser versorgen, so dass das, was vielleicht von einem „Aowäldle“ übrig ist, nicht völlig verschwindet. Wer richtige Auenwälder erleben will, der begebe sich an die Ufer von Elbe, Mulde, Saale, Elster in den Neuen Bundesländern, wo man die Flüsse einigermaßen in Ruhe gelassen hat. Mir ging heute der Refrain von Keimzeits Lied „So“ durch den Kopf:

Lass es laufen den Berg hinunter, lass es laufen ins Tal,

Gott hat dem Fluss diesen Weg gegeben, sicher tut ers nicht noch mal.

Bitte lass ihn ungestört

Das Wasser weiß selbst, wo es hingehört.

Etwa gegen Mittag ging ich durch Dörfer, die ein wenig Industrie haben und deren Infrastruktur ganz gut auf Radfahrer ausgelegt ist, denen ich heute zahlreich begegnete. Leider ist irgendwann dann Schluss mit nett, und man muss der Bundestraße folgen. Dies wird an einigen Stellen auch von Seume benutzt worden sein. Darauf deutet eine alte Postsäule, darauf deuten alte Karten zu den Dörfern, die ich auf einer Schautafel fand, und man sieht es auch an den Baujahren der Häuser, die nach wie vor die Straße, nun die Bundesstraße säumen.

Leider hat die Bundesstraße zwischen Wildon und Lebring nicht einen mickrigen Fußweg auf gut drei Kilometern. Man quält sich in unübersichtlichen Kurven an der Leitplanke dahin und freut sich, dass es noch Tageslicht gibt. Solche Passagen frustrieren mich immer besonders, vor allem, wenn es nicht einmal Hinweise im schilderbesessenen Österreich gibt für den Verlauf ungefährlicher Fußwege irgendwo weit weg (die dann natürlich auch länger sind als die Straße).

Immerhin, nach den dreißig Kilometern heute geht es den Füßen ganz gut, und die Erkältung ist überstanden.

Lassen wir zum Schluss Seume noch mal zu Wort kommen. Zu Graz schreibt er:

„Hier will ich einige Tage bleiben und ruhen: die Stadt und die Leute gefallen mir. Du weißt, daß der Ort auf den beiden Seiten der Murr sehr angenehm liegt; und das Ganze hat hier überall einen Anblick von Bonhommie und Wohlhabenheit, der sehr behaglich ist.“

Seume behauptet übrigens, er habe die Strecke von Wien nach Graz über den Semmering in fünf Tagen gemacht. Da bin ich dann doch skeptisch, denn sich war auf der Distanz (192 km) sieben Tage unterwegs, hatte dazu noch einen Ruhetag. Aber gut, Seume hat halt jeden Tag ca. 40 km bewältigt, man kann es nicht völlig ausschließen, auch wenn er selbst in Schottwien noch irgendwie pausierte, Stress mit dem Schnee hatte usw.

Die Strecke auf Komoot: https://www.komoot.de/tour/944711403?ref=wtd

Blick vom Hotelfenster auf das Kunsthaus Graz
Graz
Brücke über die Muhr
Die gestaute Muhr bei Graz
Lager mit Isolatoren
Die Muhr vor dem Kraftwerk Feldkirchen
Der halbwilde Wald
Herbst
Felder bei Großsulz
Haus an Seumes Weg
Alte Poststraße in Wildon

In Graz, not only did my damaged foot need to recover, I also had to cure my explanation. Both succeeded. I coped well with the 30 km today. In Graz, I went shopping for office supplies, vitamin bombs and fruit, and searched in vain for a tea shop.

In the afternoon I was so fit (and motivated) again that after shopping and a short tour of the city I went to the Kunsthaus. A courageous building, in which Camera Austria also resides. Graz is definitely worth a second trip. Let’s see if we can get a flat swap organised for next year.

This morning it was still so cold (approx. 5 °C) that I even put my pantalons (long pants) to use and started walking in a thick cotton jacket. I was able to take both off again a few hours later, because it was a comfortable 20 °C.

In Graz, you can take a path right next to the Muhr river in the city centre, and thus walk in the hollow of the river far away from the noise of the city. On the way, you cross various parks and can observe how the citizens have tried to make something like a river again out of the lousy straight channel into which the Muhr is forced here. But just a few pieces of street furniture, a wooden „sundeck“ pushed into the canal and a few stand bar knick-knacks, or even attempts at harbours are not enough. Sure, the energy of the Muhr is better exploited, its floods are more bearable if it is forced into a straightened channel between the dikes. But then it is no longer a river that is a little unpredictable, always reshaping its bed, forming meanders and side arms. The people of Graz call this landscape in the south of the city Muhraue. But it is no longer a floodplain either.

Shortly before Großsulz, some water has been diverted from the Muhr and led through the forest. These small artificial streams are sometimes above, sometimes below the level of the Muhr and are intended to supply the forest with a little water again, so that what may be left of a „Aowäldle“ does not completely disappear. If you want to experience real floodplain forests, go to the banks of the Elbe, Mulde, Saale, Elster in the new federal states, where the rivers have been left more or less alone. The refrain of Keimzeit’s (east German band) song „So“ ran through my head today:

„Let it run down the mountain, let it run into the valley,
God gave the river this path, I’m sure he won’t do it again.
Please leave it undisturbed
The water itself knows where it belongs.“

Around noon, I passed through villages that have a little industry and whose infrastructure is quite well designed for numerous cyclists, whom I encountered in large numbers today. Unfortunately, at some point nice comes to an end and you have to follow the federal road. This will also have been used by Seume in some places. This is indicated by an old post office pillar, by old maps of the villages that I found on a display board, and you can also see it in the years of construction of the houses that still line the road, now the federal road.

Unfortunately, the federal road between Wildon and Lebring does not have a measly footpath for a good three kilometres. You struggle along the crash barrier in blind bends and are glad that there is still daylight. Such passages always frustrate me, especially when there are not even signs in sign-obsessed Austria for the course of safe footpaths somewhere far away (which are of course longer than the road).

At least, after the thirty kilometres today, the feet are feeling quite well and the cold is over.

Finally, let’s let Seume have his say again. On Graz he writes:

„I want to stay here for a few days and rest: I like the city and the people. You know that the place lies very pleasantly on both sides of the Murr; and the whole has here everywhere a look of bonhommie and prosperity, which is very comfortable.“

Seume claims, by the way, that he made the journey from Vienna to Graz over the Semmering in five days. I’m sceptical about that, because it took him seven days to cover the distance (192 km) and he had one day of rest. But well, Seume did about 40 km every day, so it can’t be completely ruled out, even if he somehow took a break in Schottwien, had stress with the snow etc.