Tag 17 der Reise, Ruhetag in Jihlava

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Heute schreiben, Bilder bearbeiten, Bürokram, Schuhpflege, Wäsche, Datensicherung. Aber auch ein wenig Zeit zum Reflektieren.

Ich bin jetzt ca. 430 km gelaufen. Allmählich befällt mich beim Gehen etwas Langeweile. Ich schaue aufs Telefon nach der Route, denkbaren Abkürzungen, drohenden Irrtümern zur Geländebeschaffenheit. Und ja, zuweilen kommt ein beklemmendes Gefühl. Wie wird es mir gehen auf den restlichen gut 2.000 km, die zu gehen sind? Wenn das Gehen an sich zur Routine geworden ist, kommt dann eine langweilige, sich irgendwie wiederholende Landschaft wie Blei über mich? Am Nachmittag kleben die Kilometer an den Sohlen wie Lehm. Ich freue mich auf den Feierabend, aber der ist dann auch irgendwie öde, wenn man allein auf dem Hotelzimmer sitzt. Es wird jetzt eher dunkel, die Himmel sind herbstlich, kein Wetter um abends nett in einem Straßencafe abzuhängen. So wie Seume freue ich mich auf Italien. Aber vor mir liegen noch die Pässe in Österreich, die Planina in Slowenien, Autobahnen, die es irgendwie zu meiden gilt.

In meinem Kopf schwingt die vorwurfsvolle Frage meiner Gattin: warum machst du das überhaupt? Im Sommer 2020 gestellt, in Brandenburg, als ich mitten in einer Wanderung durch die Ödnis steckte, es heiß war, die Füße zerschunden.

Quasi zur Selbstvergewisserung will ich meine Motivation noch mal beschreiben.

Als erstes treibt mich die Neugier auf die Landschaften, die nicht im Reiseführer stehen. Die sind für mich fotografisch durchaus interessant. Und es gibt etwas zu erzählen, zu den unspektakulären Orten, die doch irgendwie auch spektakulär sind.

Dann ist da die große Faszination von Johann Gottfried Seume. An meinen Inspirator muss ich oft denken. Wo könnte er langgegangen sein? Wie hat er überhaupt den Weg gefunden? Nie erwähnt er Karten, die er bei sich gehabt haben könnte, auch keinen Kompass. Wegweiser oder gar ausgeschilderte Wanderwege wird es nicht gegeben haben. Ging er leicht zu findende Routen, eben die Poststraßen? Oder ging er auch mal querfeldein durchs Gelände? Konnte er über Feldraine und kleine Pfade einen kürzeren Weg nehmen als ich, der oft in aberwitzigen Haken dem Verlauf der riesigen Maisfelder folgen muss? Wie oft blieb er stehen, um nach dem Weg zu fragen? Oder folgte er einem großen Tross anderer Fußreisender? Nur selten erwähnt Seume das Wetter. Aber wie lief es sich in durchweichten Lederstiefeln im Schnee, den er wohl erwähnt?

In einem meiner letzten Beiträge habe ich nachgerechnet, welches Tagespensum er zu bewältigen hatte, bei optimistischer Betrachtung waren das mindestens 30 km. Was mir aber erst gestern klar wurde: er hatte dafür im Dezember 1801 in der nördlichen Hemisphäre viel weniger Zeit als ich jetzt im September, denn es wurde ja früh am Nachmittag dunkel. Straßenbeleuchtung gab es bestenfalls in Städten. Wie hat er seinen Weg gefunden, wenn er im Dunkeln durch den Wald gestolpert ist? Immerhin ist in Goethes Italienreise überliefert, dass die Kutschen auch nachts gefahren sind. Ich bin da noch zu keinem Ergebnis gekommen in der Frage, ob Seume getrickst hat, oder ob ihm Aufschneiderei einfach nur nachgesagt wird. Am dreisteste ist da ja die Behauptung, er sei in Wirklichkeit nie auf Sizilien gewesen, hätte alles nur aus Reisführern abgekupfert. Ich will also am lebenden Objekt erst mal den Beweis abliefern, dass man in etwa den Dimensionen eines Fußgängers die Reise tatsächlich machen kann. Mein Respekt gilt jedenfalls uneingeschränkt dem großen Meister, der über eine gigantische Fitness – auch im Kopf – verfügt haben muss.

Mich fasziniert aber auch der Kampf mit dem eigenen Körper, der in erster Linie ein Kampf mit dem Kopf ist. Was geht noch? Wo sind die Grenzen? Diese Frage sollte man als Mensch ab und zu mal für sich ergründen. Im Alter ist es auch interessant, festzustellen, wie trainierbar doch der Körper noch ist. Ich denke ab und zu mal: das wird das Finale deiner körperlichen Leistungsfähigkeit sein, danach kommt nichts mehr, danach geht die Straße des Lebens bergab.

Neben der fotografischen Arbeit, sehen, was Seume gesehen haben könnte, heute sehen würde, steht für mich auch ein politisches Projekt (was auch in der fotografischen Arbeit seinen Niederschlag finden wird). Den europäischen Gedanken fördern. Daher auch meine flaggenbestückte Schärpe. Allerdings provoziert die bisher kaum zu Fragen. Vielleicht wird das in anderen Ländern anders sein? Wächst die Neugier mit der Entfernung zu Deutschland?

Und ich bin auf der Suche nach potenziellen Seume-Ambassadors, Menschen, die Seume-Wanderer nach mir unterstützen. Aber diese Hürde ist noch mal um einiges höher als der Versuch, überhaupt in irgendein Gespräch zu kommen. Immerhin hatte ich schon drei tolle Begegnungen, die dieser Idee befördern könnten.

Täglich veröffentliche ich meine Wanderstrecken auf Komoot. Man kann sie also nachwandern. Aber Achtung: die Strecke und die Entfernungen haben es in sich, nicht immer war mein Weg der optimale und nicht bei jedem Wetter wird jede Strecke schön sein. Man kann das auf keinen Fall mit dem Rad fahren, auch nicht mit dem Roller. Oft habe ich mir Wege gewählt, die wirklich nur zu Fuß gehen. Und ein vorbereitendes Training wäre auch erforderlich. Oft ist man allein in weiter Flur, Erschöpfung bis zum Ende kann da gefährlich werden. Und ich gehe davon aus, dass leider nur wenige Zeitgenossen die Möglichkeit haben, mal eben so dreieinhalb Monate am Stück wandern zu gehen. Ich musste dazu nicht nur „Teilzeitprivatier“ werden, sondern eine Reihe von organisatorischen Vorbereitungen treffen. Aber man kann die Tour ja auch in Etappen oder länderweise machen. Wer meinen Bericht liest oder sich die Strecken von Komoot herunterlädt, spart sich schon mal einigen Aufwand.

Jihlava ist eigentlich ganz nett, wenn nicht grad eiskalter Wind durch die Gassen fegt. Es gibt eine wirklich schöne, auf dem Hügel gelegene Altstadt mit vielen Kneipen und Cafes. Sehr viel historische Bausubstanz und wunderbares buckliges Kopfsteinpflaster. Die Stadtmauer ist in weiten Teilen erhalten. Trolleybusse durchqueren den Markt, einige Straßen sind verkehrsberuhigt oder so schmal, das sowieso kein Auto durchkommt.

Und was schreibt Seume über den Ort meines gegenwärtigen Aufenthaltes?

„In Iglau habe ich bei meinem Durchmarsch nichts gesehen, als den großen, schönen, hellen Markt, dessen Häuser aber in der Ferne sich weit besser machen, als in der Nähe, wie fast alles in der Welt, das ins Prächtige fallen soll, ohne Kraft zu haben. Ziemlich in der Mitte des Marktes steht ein herrliches Dreifaltigkeitsstück, von Leopold dem Ersten und Joseph dem Ersten, so christgläubig als möglich, aber traurig wie die Barbarei. Einige feine Artikel waren zerspalten und bekleckst, aber die conceptio immaculata und die sponsa spiritus sancti standen unter dem Ave Maria zum Trost der Gläubigen noch fest und wohl erhalten.“

Noch drei Tagesmärsche bis Österreich.

Es gibt noch was zu tun in Jihlava.
Nix für Stöckelschuhe
KuK

Writing today, editing pictures, office stuff, shoe care, laundry, data backup. But also a little time to reflect.

I have now walked about 430 km. Gradually, I get a bit bored while walking. I look at the phone for the route, conceivable shortcuts, impending errors to the terrain. And yes, sometimes there is an oppressive feeling. How will I feel on the remaining 2,000 kilometers that have to be walked? When the walking itself has become routine, will a boring, somehow repetitive landscape come over me like lead? In the afternoon, the kilometers stick to my soles like clay. I’m looking forward to the end of the day, but it’s also kind of dull when you’re sitting alone in your hotel room. It’s getting rather dark now, the skies are autumnal, no weather to hang out nicely in a sidewalk cafe in the evening. Like Seume, I’m looking forward to Italy. But ahead of me are the passes in Austria, the Planina in Slovenia, highways that somehow need to be avoided.

In my head resonates the reproachful question of my spouse: why do you do it at all? Posed in the summer of 2020, in Brandenburg, when I was in the middle of a hike through the wasteland, it was hot, my feet bruised.

Quasi for self-assurance, I want to describe my motivation again.

The first thing that drives me is curiosity about the landscapes that are not in the guidebook. They are definitely interesting to me photographically. And there is something to tell about the unspectacular places that are nevertheless somehow also spectacular.

Then there is the great fascination of Johann Gottfried Seume. I often have to think of my inspirer. Where could he have gone? How did he find his way in the first place? He never mentions maps that he might have had with him, nor a compass. There will have been no signposts or even marked hiking trails. Did he walk easy to find routes, just the post roads? Or did he sometimes go cross-country through the terrain? Was he able to take a shorter route over field margins and small paths than me, who often has to follow the course of the huge cornfields in crazy hooks? How often did he stop to ask for directions? Or did he follow a large troop of other foot travelers? Only rarely does Seume mention the weather. But how did it feel to walk in soaked leather boots in the snow, which he must have mentioned?

In one of my last posts I recalculated what daily workload he had to cope with, optimistically it was at least 30 km. But what I realized only yesterday: he had much less time for that in December 1801 in the northern hemisphere than I have now in September, because it got dark early in the afternoon. Street lights existed in cities at best. How did he find his way if he stumbled through the forest in the dark? After all, Goethe’s journey to Italy tells us that the carriages also drove at night. I have not yet come to any conclusion on the question of whether Seume cheated, or whether he is simply said to have been boastful. The most brazen is the assertion that he had never been to Sicily in reality, had only copied everything from travel guides. I want to deliver therefore at the living object first of all the proof that one can make the journey in approximately the dimensions of a pedestrian actually. In any case, my respect goes unreservedly to the great master, who must have had a gigantic fitness – also in the head.

But I’m also fascinated by the struggle with my own body, which is primarily a struggle with my head. What else is possible? Where are the limits? As a human being, you should explore this question for yourself from time to time. In old age, it is also interesting to find out how trainable your body still is. I think from time to time: this will be the final of your physical performance, after that nothing more comes, after that the road of life goes downhill.

In addition to the photographic work, see what Seume could have seen, would see today, stands for me also a political project (which will also find expression in the photographic work). To promote the European idea. Hence also my flag-studded sash. However, so far it hardly provokes any questions. Maybe it will be different in other countries? Does the curiosity grow with the distance to Germany?

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Täglich veröffentliche ich meine Wanderstrecken auf Komoot. Man kann sie also nachwandern. Aber Achtung: die Strecke und die Entfernungen haben es in sich, nicht immer war mein Weg der optimale und nicht bei jedem Wetter wird jede Strecke schön sein. Man kann das auf keinen Fall mit dem Rad fahren, auch nicht mit dem Roller. Often I have chosen paths that are really only walking. And preparatory training would also be necessary. Often you’re alone in wide open spaces, exhaustion to the end can be dangerous there. And I assume that unfortunately only a few contemporaries have the opportunity to go hiking for three and a half months at a time. Not only did I have to become a „part-time privateer“, but I also had to make a number of organizational preparations. But you can also do the tour in stages or country by country. If you read my report or download the routes from Komoot, you will save yourself some effort.

Jihlava is actually quite nice, if not grad freezing wind sweeps through the streets.

There is a really nice hilltop old town with lots of pubs and cafes. A lot of historic buildings and wonderful humpy cobblestones. The city wall is preserved in large parts. Trolley buses cross the market, some streets are traffic-calmed or so narrow that no car can get through anyway.

Und was schreibt Seume über den Ort meines gegenwärtigen Aufenthaltes?

„In Iglau habe ich bei meinem Durchmarsch nichts gesehen, als den großen, schönen, hellen Markt, dessen Häuser aber in der Ferne sich weit besser machen, als in der Nähe, wie fast alles in der Welt, das ins Prächtige fallen soll, ohne Kraft zu haben. Ziemlich in der Mitte des Marktes steht ein herrliches Dreifaltigkeitsstück, von Leopold dem Ersten und Joseph dem Ersten, so christgläubig als möglich, aber traurig wie die Barbarei. Einige feine Artikel waren zerspalten und bekleckst, aber die conceptio immaculata und die sponsa spiritus sancti standen unter dem Ave Maria zum Trost der Gläubigen noch fest und wohl erhalten.“

Three more days‘ march to Austria.

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And I am looking for potential Seume. Translated with www.DeepL.com/Translator (free version)