Tag 73 der Reise, von Tolentino nach Foligno, 6 km zu Fuß, 58 km getrampt und per Bus

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12. November 2022

Da mein Bus erst um 14.30 h gefahren wäre, begab ich mich an den Ausgang der Stadt und fand eine ganz günstige Stelle zum Trampen.

Man brauch ja ein gutes Stück Resilienz, wenn man so reisen möchte. Es wird einem de facto im Minutentakt mitgeteilt, dass man als Mitfahrer unerwünscht ist. Mal lächelt die Person im Auto mitleidig, mal überheblich, mal geht ein stolzer Blick geradeaus, mal wird man mit offenem Mund dümmlich angestaunt, mal gibt es bedauernde Gesten, dass man gleich abbiegt, dass man nur ein kleines Stück fährt usw. Trotzdem muss man immer wieder das Lächeln aufsetzen, ein straffe und optimistische Körperhaltung annehmen. Eine gute Übung, die man wenigstens einmal im Leben absolviert haben sollte.

Da es nicht so viele waren, kann ich hier über jeden/jede einzelnen/e berichten, die/der angehalten hat.

Da war zunächst die Dame in mittlerem Alter mit einem ebensolchen Auto, die anhielt, um mir zu sagen, dass sie mich nur einige Kilometer mitnehmen könnte. Das lehnte ich dankend ab, denn wenn es dort nicht weitergeht oder die Stelle schlecht ist, muss ich zurücklaufen zum Bus.

Dann hielt ein dunkelhäutiger junger Mann in schickem Hemd, gleiches Ergebnis.

Schließlich hielt eine sehr gepflegte Mitvierzigerin, sehr freundlich, und bot an, mich zur Autobahnauffahrt zu chauffieren. Auch das habe ich abgelehnt.

Der nächste Stopp war eine Frau in kleinem Auto mit dunkelhäutigem Kind auf der Rückbank. Sie bedauerte, dass sie nicht nach Foligno fährt. Aber sie bog ein auf den nahegelegenen Parkplatz und fing an, diverse Freunde abzutelefonieren, ob nicht jemand zufällig haute nach Foligno fährt. Es ergab sich aber nichts. Sie meinte, heute wollen alle ans Meer fahren, aber nicht über den Apennin. Sie versprach aber, weitere Leute zu kontaktieren und ihnen meinen Standort mitzuteilen. Wir verabschiedeten uns herzlich und ich ging zurück zu meinem Rucksack.

Plötzlich hielt auf der gegenüberliegenden Fahrbahn wieder die hübsche Mitvierzigerin von vorhin. Ob es nicht gut wäre, wenn sie mich zum Bahnhof fahren würde? „Nein danke“, sagte ich, „der Zug braucht ewig, fährt ums halbe Gebirge und es sind Bauarbeiten an der Strecke im Gange.“ Tja, Schade.

Schließlich hielten zwei junge Männer in einem winzigen Citroen C1. Einer sprach sehr gut Englisch, er hat mit seinen Eltern 10 Jahre in London gelebt, wie sich später herausstellte. Sie wollten eigentlich in die Berge zu irgendwelchen Quellen, könnten mich aber ein Stück mitnehmen. Ich habe ihnen auf meinem Telefon gezeigt, an welchen Stellen mein Bus unterwegs hält, so dass ich diese Option immer noch hätte, wenn sie mich bis zu einer der Stationen mitnähmen. Damit waren sie einverstanden. Dann gab es großes Gelächter, als ich versuchte, den Kofferraum zu öffnen für meinen Rucksack, dieses kleine Auto hat zwar vier Türen, doch keinen Kofferraum. Es war schon nach 10, als wir losfuhren. Im Auto wurde es schnell lustig, denn meine Geschichte fanden sie toll. Einer der beiden ist von London mit dem Fahrrad nach Hause gefahren, nach Tolentino, dem heutige Ausgangspunkt meiner Tagesstrecke. Wir hörten RAP aus England und Italien, die beiden rauchten und fuhren mit Rücksicht auf mich die ganze Zeit mit offenem Fenster. Aber irgendwie hatten wir ein Verständigungsproblem oder eine kleine Verwechslung. Denn die beiden fuhren mit mir abseits der Autobahn auf einen hohen Berg, nach Camerino. Dort lud ich beide noch in ein Bistro ein. Sie wollten mir noch helfen, die Bushaltestelle zu finden, aber ich habe ja mein Telefon.

Als die beiden längst weg waren, stellte ich fest, dass mein Bus never ever über dieses Kaff fährt. Die nächste sinnvolle Bushaltestelle: 10 km weg unten im Tal. Nun muss ich zu unser aller Entschuldigung sagen, dass der Bus unterwegs tatsächlich den ein oder anderen Umweg macht, um diverse Dörfer mitzunehmen.

Immerhin, ich war an einem bemerkenswerten Ort auf dem Gipfel eines Berges mit imposanten Mauern, die steil nach allen Richtungen abfielen. Also beschloss ich, auf jeden Fall die nächstgelegene Bushaltstelle anzusteuern. Es war kurz vor 12 und der Bus würde dort gegen drei sein. Ich stieg also den Berg hinab bis zur nächsten Straße. Offen gesagt erfasste mich leichte Unruhe, denn diese ging in Serpentinen, steil und mit bösen Leitplanken, ohne Fußweg versteht sich, ins Tal. Also blieb ich in der Nähe von Camerino an einer Kreuzung stehen, und versuchte es erneut mit Trampen. Ich hatte Glück, denn schon nach wenigen Minuten nahm mich eine dreiköpfige (!) Familie mit bis nach Maddalena, wo sich die vielversprechende Bushaltestelle befindet.

Das war ein merkwürdiger Ort: ein verlassenes Motel, eine große Selbstbedienungstankstelle, verschiedene Buden, eine Apotheke, eine Bar und viel, viel Asphalt. Auch eine gar nicht so schlechte Stelle zum Trampen. Ständig kamen und gingen die Leute mit ihren Autos. Ich setzte mich erst mal in die Bar und bestellte Tee und ein Stück Kuchen. Etwas herzhaftes hatte ich schon oben auf dem Berg gegessen. Dann ließ ich mir ein Blatt Papier geben und malte mir mit meinem Edding ein schönes Trampschild: FOLIGNO. Ein solches hatte ich mir natürlich auch schon heute Morgen gemacht, allerdings auf einem Streifen Klopapier, der hielt leider nicht sehr lange.

Ich hatte noch mehr als zwei Stunden Zeit bis der Bus fuhr. Also stellte ich mich wieder hin. Nach einer Weile kam ein älterer Herr zu mir und bedeutet mir, dass ich nicht optimal stünde, denn nach knapp zwei Kilometern gäbe es einen Abzweig nach Foligno. Dort würde er mich hinfahren. Na gut, dachte ich, die kann ich notfalls zurücklaufen.

Dort, wo der alte Herr mich absetzte, gab es tatsächlich einen Abzweig mit einem Wegweiser nach Foligno. Es fuhren nur kaum Autos in die entscheidende Richtung, ja es fuhren nur ganz wenige Autos überhaupt da lang. Endlich hielt ein Mann, kurbelte die Scheibe runter und redete wild gestikulierend auf mich ein. Mit meinem brillanten Italienisch hatte ich immerhin verstanden, dass es sinnlos ist, hier zu trampen, wenn man nach Foligno will, und letzteres erkannte der Herr ja an meinem Schild.

Also lief ich zurück zur Tankstelle. Der Weg ging vorbei an weiteren verlassenen Hotels und Autowerkstätten. Offenbar war das hier die alte Passstraße, die die Konkurrenz der parallel verlaufenden Autobahn nicht vertragen hat. Und meine Trampstelle an der Tanke war der Rest eines ehemals florierenden Ortszentrums.

Es hielt noch mal ein jüngerer Mann, um mir zu sagen, dass er nur ins nächste Dorf fährt. Dann, kuerz nach drei, gab ich auf und ging rüber zur Tankstelle, wo, wie ich inzwischen gesehen hatte, diverse Busse des Regionalverkehrs immer mal hielten. Leute warteten auf dem großflächigen Areal mit ihren Autos, um Passagiere abzuholen oder hinzubringen.

Endlich, endlich – es begann schon etwas zu dämmern – kam mein Bus. Freudig stieg ich ein und bat um ein Ticket. Der Fahrer kramte in irgendeiner Liste. Dann erklärte er, Tickets gäbe es gegenüber in der Bar. Ich verzweifelte, bat um Mitleid mit einem Ausländer und hielt einen Zwanzigeuroschein hin. Der Herr blieb eisern (und unbestechlich!). Schließlich bot er an zu warten. Ich stürzte in die Bar, kam auch gleich dran am Tresen, kaufte ein Ticket und rannte zurück zum Bus.

Dann saß ich im Warmen, zusammen mit drei weiteren Passagieren. Ich zückte die Kamera und knipste in die Dämmerung, denn hier irgendwo musste Seumes Weg gewesen sein. Aber die alte Passstraße wird wohl jüngeren Datums sein. Ein einziges Relikt könnte abseits die alte steinerne Brücke sein, die ich zufällig entdeckte.

Der Bus hielt unterwegs übrigens nur ein einziges Mal in Colfiorito, auf dem Hochplateau. Immerhin ging es ab und zu mal durch die von Seume erwähnten imposanten Schluchten.

Die Gasse vor meinem Quartier in Torentino
Ein Haus im Erbebenkorsett in Torentino
Das Stadttor in Richtung Apennin
Meine Trampstelle in Torentino
Der einizge wirklich gute Lift an diesem Tag, auch wenn das Ende diffus war, Danke Jungs!
Eine Kirch im Erbebenkorsett in Camelino auf dem Berg
Die Mauern von Camelino
Blick auf den Apennin vom Hang unterhalb von Camenino
Die Tanke des Grauens an der alten Passstraße
Die „bessere“ Trampstelle nach Foligno, rechts die Autobahn
Endlich im Bus
Die alte steinerne Brücke abseits der Passstraße
Diesen Gipfel hätte ich ganz gewiss nicht in meinen Wanderweg integriert
Auf dem Plateau bei Colfiorito
Das östliche Stadttor von Foligno, Seumes Weg
Foligno, Gasse auf dem Weg zu meinem Quartier

Since my bus would have left only at 14.30 h, I went to the exit of the city and found a quite favorable place to hitchhike.

You need a good bit of resilience if you want to travel like this. You are de facto told every minute that you are not wanted as a passenger. Sometimes the person in the car smiles pityingly, sometimes arrogantly, sometimes a proud look goes straight ahead, sometimes you are stared at stupidly with your mouth open, sometimes there are regretful gestures that you are about to turn off, that you are only going a short distance, etc. Nevertheless, you have to keep smiling and maintain a firm and optimistic posture. A good exercise that you should have done at least once in your life.

Since there were not so many of them, I can report here about each one that stopped.

First of all, there was the middle-aged lady with the same kind of car who stopped to tell me that she could only take me a few kilometers. I thankfully refused, because if there was no further to go or the place was bad, I would have to walk back to the bus.

Then a dark-skinned young man in a smart shirt stopped, same result.

Finally, a very well-groomed woman in her mid-forties stopped, very friendly, and offered to chauffeur me to the freeway entrance. I declined that as well.

The next stop was a woman in a small car with a dark-skinned child in the back seat. She regretted that she was not going to Foligno. But she turned into the nearby parking lot and started calling various friends to see if anyone happened to be going haute to Foligno. But nothing came up. She said that today everyone wanted to go to the sea, but not over the Apennines. However, she promised to contact more people and tell them my location. We said goodbye cordially and I went back to my backpack.

Suddenly, on the opposite lane, the pretty woman in her mid-forties from earlier stopped again. Wouldn’t it be good if she drove me to the station? „No thanks,“ I said, „the train takes forever, goes halfway around the mountains, and there’s construction going on along the line.“ Well, too bad.

Finally, two young men in a tiny Citroen C1 stopped. One spoke very good English, he had lived with his parents in London for 10 years, as it turned out later. They actually wanted to go to the mountains to some springs, but could give me a ride. I showed them on my phone where my bus stops on the way, so I would still have that option if they took me to one of the stops. They were fine with that. Then there was big laughter as I tried to open the trunk for my backpack, this little car has four doors but no trunk. It was already after 10 when we left. Things quickly got funny in the car as they loved my story. One of them was riding his bike home from London to Tolentino, today’s starting point of my daily route. We listened to RAP from England and Italy, the two of them smoked and, with consideration for me, drove with the windows open the whole time. But somehow we had a communication problem or a little mix-up. Because the two drove with me off the highway on a high mountain, to Camerino. There I invited them both to a bistro. They wanted to help me find the bus stop, but I have my phone.

When the two were long gone, I realized that my bus never ever goes over this village. The next useful bus stop: 10 km away down in the valley. Now, I have to say to all of our excuses that the bus actually makes one or the other detour on the way to pick up various villages.

After all, I was at a remarkable place on the top of a mountain with imposing walls that dropped steeply in all directions. So I decided to head for the nearest bus stop in any case. It was just before 12 and the bus would be there around three. So I descended the hill to the next street. Frankly, slight uneasiness gripped me, because this one went down in switchbacks, steep and with nasty guardrails, without a footpath of course, into the valley. So I stopped near Camerino at a crossroads, and tried hitchhiking again. I was lucky, because after a few minutes a family of three (!) took me all the way to Maddalena, where the promising bus stop was located.

This was a strange place: an abandoned motel, a large self-service gas station, various stalls, a pharmacy, a bar, and lots and lots of asphalt. Not a bad place to hitchhike, either. People were constantly coming and going with their cars. I first sat down in the bar and ordered tea and a piece of cake. I had already eaten something hearty up on the mountain. Then I let give me a sheet of paper and drew me with my Edding a nice hitchhiking sign: FOLIGNO. Such a one I had made myself of course already this morning, but on a strip of toilet paper, which unfortunately did not last very long.

I still had more than two hours time until the bus drove. So I stood up again. After a while, an older man came to me and told me that I was not in the best position, because after two kilometers there was a turnoff to Foligno. There he would drive me. Well, I thought, I can walk back if necessary.

Where the old man dropped me off, there was indeed a turnoff with a signpost to Foligno. There were hardly any cars going in the decisive direction, indeed only very few cars were going that way at all. Finally a man stopped, rolled down the window and talked wildly gesticulating at me. With my brilliant Italian, I understood that it was pointless to hitchhike here if you wanted to go to Foligno, and the man recognized the latter from my sign.

So I walked back to the gas station. The road went past more abandoned hotels and garages. Obviously, this was the old pass road that couldn’t stand the competition of the parallel highway. And my hitchhiking spot at the gas station was the remnant of a once thriving town center.

Once again a younger man stopped to tell me that he was only going to the next village. Then, shortly after three, I gave up and went over to the gas station, where, as I had seen in the meantime, various buses of the regional traffic stopped every now and then. People were waiting with their cars in the large area to pick up or take passengers.

Finally, finally – it was already beginning to dawn – my bus arrived. I joyfully got on and asked for a ticket. The driver rummaged in some list. Then he explained that tickets were available across the street in the bar. I despaired, asked for pity for a foreigner and held out a twenty euro bill. The gentleman remained adamant (and incorruptible!). Finally, he offered to wait. I rushed into the bar, got my turn at the counter, bought a ticket and ran back to the bus.

Then I was sitting in the warm, together with three other passengers. I pulled out the camera and snapped into the twilight, because Seume’s path must have been here somewhere. But the old pass road will probably be more recent. A single relic might be the old stone bridge off to the side, which I discovered by chance.

By the way, the bus stopped only once on the way in Colfiorito, on the high plateau. At least it went now and then through the imposing gorges mentioned by Seume.