Fazit

Der Körper und der Kopf

Ich habe meinem Körper schon harte Sachen zugemutet: 2008 einen Marathon (4 h 27), 2021 einen Mammutmarsch (100 km in 24 h am Stück). Aber neu war für mich an dieser Wanderung, dass der Körper einer Dauerbelastung ausgesetzt war. In der ersten Woche gab es noch Tage, an denen ich 38 km gelaufen bin, oft mehr als 30 km. Das habe ich nach gut 6 Wochen sein gelassen und den Tagesdurschnitt bei um die 25 km eingependelt. Was ich unterschätzt hatte: es geht nicht nur um Blasen an Ferse oder Zehe. Es kommt zu einer Überlastung des Gewebes an sich. Da hat man dann an Stellen Schmerzen, wo längst keine Blasen mehr sind. Nach ungefähr 11 Wochen hatte ich im bis dahin gut belastbaren rechten Fuß (links habe ich etwas Arthrose) plötzlich permanente leichte Schmerzen verspürt, die sich bis in die Wade hochzogen. Das war nicht das Gelenk, das waren Symptome eines Ermüdungsbruchs. Ich habe das zum Glück wieder wegbekommen durch wirklich sehr langsames und vorsichtiges Gehen, vor allem bergab, kurze Strecken um die 15 km, viel Vitamin D und viel Kalzium (Käse vor allem).

Mein Stoffwechsel hat sich nach ca. 3 Wochen auf die neue Situation umgestellt. In der ersten Zeit habe ich extrem viel gegessen und trotzdem abgenommen. In den letzten Wochen habe ich ohne Probleme wieder bewusst etwas weniger gegessen, damit sich an dem schön weggelaufenen Bauch nicht gleich wieder was ansetzt. Vergangen ist mir der Heißhunger auf Süßes. Dummerweise gibt es in Italien Fast-food auf die Hand fast immer nur mit viel Zucker.

Ab und zu bin ich mal außer Atem geraten, bei steilen Anstiegen z.B. Aber ansonsten war kreislaufmäßig alles gut.

Wirklich wichtig sind regelmäßige Pausen, nach jeder Stunde oder immer nach 5 km. Am Anfang bin ich die ersten 8 bis 10 km manchmal durchgelaufen, es fühlte sich frisch und gut an, das zu tun, ich war im Flow. Aber das hat sich dann oft am Nachmittag gerächt, da kam dann ab 16 h oft ein richtiges Leistungstief mit Trippelschritten im Schneckentempo. Überhaupt waren die letzten 5 km immer die härtesten. Man kann dann kaum noch das Ende erwarten, schaut ständig auf den Kilometerstand und macht sich damit ein wenig fertig. Ich habe mir immer gesagt: 5 km, das war mein Schulweg in die EOS, den bin ich sehr oft mit dem Fahrrad gefahren und konnte ihn mir räumlich gut vorstellen. Diese Bilder des alten Schulwegs hatte ich dann immer vor Augen, um mich einerseits vor Euphorie (gleich da!) und Enttäuschung zu bewahren und andererseits zu ermutigen und zu beruhigen. Inzwischen habe ich mir angewöhnt, mehr zu schlendern und weniger straff zu marschieren.

Meine reine Gehgeschwindigkeit lag immer so zwischen 4,5 und 5,3 km/h. Tatsächlich, also unter Einberechnung von Pausen (Fotografieren, Essen, Ausruhen, was einkaufen) war ich mit 3,7 km/h unterwegs, so hat das jedenfalls meine Wanderapp bei Komoot berechnet. Täglich war ich immer um die acht Stunden auf den Beinen, anfangs mehr, zum Ende hin etwas weniger. Einmal die Woche habe ich einen Ruhetag gemacht. Den brauchte ich für Wäsche, Schuheputzen, E-Mails schreiben, Datensicherung, Tagebuch. An den Ruhetagen habe ich versucht, die Füße möglichst überhaupt nicht zu benutzen, als rumzuliegen. Das war auch echt nötig. Selbst Sitzen ist da schon was anderes, weil da die Füße eben auf dem Boden aufliegen.

Gut war das Mitnehmen eines Wanderstabes. Das war in meinem Fall ein Einbeinstativ, welches man zusammenschieben und auf verschiedene Höhen einstellen kann. Als fotografisches Stativ habe ich es tatsächlich nur sehr selten benutzt. Aber es war sehr gut, um die Arme in verschiedenen Situationen (steile Anstiege, unwegsames Gelände usw.) in die Stabilisierung des Körpers einzubeziehen. Das hat z.B. dazu geführt, dass ich sehr selten umgeknickt oder gestolpert bin. Der Wanderstab, den man natürlich abwechselnd mal rechts, mal links benutzen muss, führt auch dazu, dass die Hände nicht anschwellen, die Arme nicht völlig abbauen. Gut ist er auch zum Wegbiegen von dornigen Zweigen, zum Runterdrücken von Weidezäunen, zum Herunterschlagen von Obst aus den Bäumen, zum Testen der Wassertiefe von Pfützen und Bächen und als „drittes Bein“, wenn man über rutschige schlammige Passagen und Feldraine laufen muss. 

Und nicht zuletzt habe ich ihn leider oft gebraucht zum Vertreiben aggressiver Hunde. Auf dieses Thema hatte mich ein Seume-Freund aufmerksam gemacht, zum Glück! Vor allem auf Sizilien waren freilaufende Hunde ein ernstzunehmendes Problem. Einmal musste ich in Slowenien auch einem Hund richtig eine drüberziehn. Das wäre mit dünnen Nordic-Walking-Stöckchen nicht gegangen. Gegen Hunde hilft auch oft das tatsächliche oder symbolische Aufheben eines Steins von der Straße. Funktionierte aber nicht immer, und hilft vor allem dann nicht, wenn der Hund unbemerkt von hinten angelaufen kommt und erst bellt, wenn er schon sehr nahe ist. Kam vor.

Das größere Gewicht meines Wanderstabs im Vergleich zu leichten Stöckchen trainiert auch ein wenig die Arme. Trotzdem hat meine Armmuskulatur mangels gewohntem Hanteltraining deutlich abgebaut. Dafür sind gelegentliche Zipperlein in Rücken, Schulter und eben dem erwähnten Fuß mit Gelenksarthrose komplett weg. Das hat sich echt gelohnt.

Eine solche lange Wanderung ist auch psychisch eine Herausforderung. Ich bin nicht der Einzige, der davor warnt, so ein Projekt als Chance zur Bewältigung einer Krise zu betrachten. Im Gegenteil: man braucht eine enorme psychische Resilienz und sehr viel Durchhaltewillen. Da ist zunächst die Herausforderung, jeden Morgen aufzustehen und möglichst nicht all zu spät nach Sonnenaufgang loszulaufen, auch dann, wenn die Blasen zwicken oder irgendwas eigentlich vom Vortag weh tut. Wenn es draußen regnet oder man eigentlich gern noch länger am Frühstückstisch sitzen würde – man muss los! Jedenfalls war das bei mir so, weil ich mir vorgenommen hatte, auf jeden Fall zu Weihnachten wieder zu Hause zu sein.

Wenn das Wetter nicht so toll ist, es noch weit bis zum Quartier ist, die Strecke mies ist, man vielleicht noch Frust auf Putin schiebt und von zu Hause eine nicht so tolle Nachricht kommt, man feststellt, dass man sich verlaufen hat und zurück muss usw., ist man ganz schnell an dem Punkt, an dem man aufgeben möchte. Dann muss man sich fest einreden, dass das ein äußerlich beeinflusstes temporäres Stimmungstief ist, welches vorbeigeht. Tatsächlich war es ein paar Mal so, dass der Tag eher mies begonnen hat, nichts Gutes versprach, und dann ist im Laufe des Tages noch was ganz Schönes passiert. Auch diese Erfahrung muss man ganz fest ins Gehirn eingraben und dann vor sich hinsagen: ok, der Tag hat scheiße angefangen, aber er ist ja noch lang! So what!

Was mich in schwierigen Situationen echt oft aufgebaut hat, waren Ermutigungen aus der Ferne. Die gab es recht oft und dafür bin ich allen virtuellen Reisebegleitern sehr dankbar. Und, ja, auch Stolz, die Sache durchzuziehen, was geschafft zu haben, was Einmaliges erlebt zu haben, ein tolles Bild gemacht zu haben, baut auf.

Man muss darauf vorbereitet sein, die meiste Zeit des Tages allein zu sein. Das will gelernt sein! Da kreisen manchmal Gedanken durch den Kopf, die kriegt man dann nicht los, wenn es außer der Landschaft keine Ablenkung gibt. Langweilig ist mir aber nur selten geworden. Wer da meint, er müsse einen Sack Hörbücher mitnehmen, irrt. Man hat auch zu tun unterwegs neben dem Schauen und Hören und Riechen: die Strecke planen für den kommenden Tag oder die kommenden Stunden. Prüfen, ob man noch auf dem Weg ist oder einen wichtigen Abzweig verpasst hat, Essen sichern und Wasservorrat, Ausrüstung beieinander halten, Leute grüßen, auf den Verkehr achten, Hunde im Blick behalten, Orangen pflücken, die Mails vom Quartier beantworten, ab und zu mal telefonieren, essen, trinken, ausruhen, Nachrichten lesen. Anstrengend ist es auch, dass man sämtliche Entscheidung allein treffen und verantworten muss. Gehe ich weiter auf der Straße lang oder unten am Strand? Wie groß wird der Umweg, wenn es am Strand nicht weitergeht? Lohnt es sich ein paar Kilometer neben der Leitplanke der fußweglosen Fernstraße zu gehen und dadurch ein Stück der ansonsten längeren Strecke abzuschneiden? Wie viele Kilometer sollte ich heute machen? Jetzt im Bistro Pause machen oder auf was Besseres warten? Was tun, wenn am Nachmittag doch keine Kaufhalle mehr an der Strecke liegt?

Das würde man normalerweise alles mit Reisebegleiter/innen besprechen und auch den anderen mal die schwierige Entscheidung treffen lassen mit dem anschließend guten Gefühl: das war jetzt nicht mein Fehler…

Am ersten Tag der Wanderung hat mich eine Freundin begleitet und fünf Tage in Norditalien ein Freund. Das waren jeweils sehr schöne Tage. Fakt ist aber auch, dass man ganz allein eben sein eigenes Tempo läuft, was auch eine physische Frage ist (zu schnelles oder zu langsames Laufen kann sehr anstrengen). Bleibt man wegen eines Bildes einige Minuten stehen, hat man anschließend nicht den Druck, jetzt schnell zum Mitwanderer wieder aufschließen zu müssen. Vielleicht macht man auch ein Bild nicht, weil man gerade in ein Gespräch vertieft ist. Andererseits ist es schön, wenn man Beobachtungen teilt, Eindrücke gemeinsam verarbeiten kann, nicht allein am Tisch sitzt beim Essen, sich die Übernachtungskosten halbieren, weil man das Zimmer teilt.

Aber wenigstens am Abend sollte man mit irgendjemandem, den man gernhat, ein Telefonat führen können.

Ein paar Mal gab es Situationen, in denen ich wirklich Angst hatte. Das war eine schaukelige desolate Hängebrücke aus nassen Eisenplatten, relativ hoch über einem Fluss unbekannter Tiefe irgendwo in Slowenien. Bei einem Absturz hätte ich mich verletzen können, und die Ausrüstung wäre mit mir sprichwörtlich ins Wasser gefallen. Ein andermal musste ich auf einer hohen, völlig zugewachsenen Böschung über einem Bach entlang. Die Böschung wurde immer höher, immer stärker verwachsen. Schließlich konnte ich einen Zaun überwinden auf das Gelände der benachbarten Autobahn. Die Alternativen wären in beiden Fällen Umkehr und lange Umwege gewesen. Aufgegeben habe ich beim Überklettern einer ganzen Reihe umgestürzter Bäume, die auf ca. 100m einen Waldweg an einer steilen Böschung blockierten. Ab und zu bin ich über Bäche balanciert, steile Pfade hinab. Da ist man halt einfach vorsichtig und entsprechend angespannt. Ab und zu gibt es sowas wie leichte Panik, Unruhe, wenn z.B. das gebuchte Quartier nichts von sich hören lässt, die Dämmerung einsetzt und man sich noch mal kurz verirrt im Wald, auf einem riesigen Busbahnhof nicht rauszukriegen ist, wo der Bus abfährt, an der Trampstelle niemand halten will und die Zeit davonrennt, am Quartier keiner da ist und keiner aufmacht. Aber vor Menschen, z.B. Kriminellen, musste ich nie Angst haben. Nie wurde ich blöd oder aggressiv angemacht, bedrängt usw. Auch bin ich nie ernsthaft betrogen worden, wenn man mal von unverschämten Preisen für schlimme Unterkünfte absieht. Da kann man sich immerhin noch mit schlechten Bewertungen rächen.

Ausrüstung

Den Wanderstab hatte ich bereits ausführlich gewürdigt. Mein Rucksack war relativ groß, ca. 60 Liter. Es ist eine Deuter Aircontact

https://www.globetrotter.de/deuter-trekkingrucksack-herren-aircontact-lite-50-10-graphite-black-1237474/?sku=5638036654

Beim Probepacken des ursprünglich favorisierten Rucksacks stellte ich nämlich fest, dass das zu geringe Volumen mir ebenso Probleme bereitet wie dessen Eigengewicht (ein älteres Modell). Daher die Neuinvestition, rechtzeitig vorm Abmarsch.

Ganz wichtig für mich: ein zweites Paar Schuhe. Ich habe immer mal die Schuhe gewechselt, z.B. die gut gedämpften Halbschuhe angezogen, wenn ich Straße gelaufen bin, und die halbhohen Stiefel, wenn es unwegsam oder bergig wurde. Manchmal habe ich die Schuhe auch tagsüber gewechselt. Erstaunlicherweise habe ich am Anfang, es war sehr warm, lieber die Halbschuhe getragen, zuletzt fast nur noch die Stiefel. Die relativ weichen Halbschuhe (HanWag) https://www.globetrotter.de/hanwag-hikingstiefel-herren-palung-mid-chestnutblack-h400410/?sku=5637543092

haben sich sehr schnell an der Ferse abgenutzt. Bei einem Schuster in Udine habe ich die Absätze neu machen lassen. Leider haben sich die angeklebten Sohlen schnell wieder gelöst, schon nach etwa einer Woche. So viel zu den Profis. Geholfen hat dann aber schnöder Sekundenkleber, den ich unterwegs kaufen konnte.

Das zweite Paar Schuhe ist nicht nur aus ergonomischen Gründen gut, jeder Schuh erfordert ein etwas anderes Bewegungsmuster des Fußes, sorgt für Abwechslung, es ist auch an Regentagen wichtig, wenn die Schuhe über Nacht nicht richtig trocken werden oder wenn man abends noch mal raus will und nicht die feuchten Schuhe anziehen will. Man kann auch in nassen Schuhen laufen. Aber dann quillt die Haut auf und man hat sehr schnell Blasen. Das habe ich versucht zu vermeiden. Ansonsten: abends im Hotel mal eine halbe Stunde den Fön in den Schuh stecken. Was ich auch vermeiden wollte: unterwegs neue Schuhe kaufen müssen, die dann nicht eingelaufen sind.

Die erwähnten Stiefel (Hanwag) https://www.globetrotter.de/hanwag-bergstiefel-herren-bergler-nusshazelnut-h1114/?sku=5637830190

 habe ich eigentlich auch gekauft, weil ich mit dem Gewicht auf dem Rücken eine gute Dämpfung, also etwas höhere Absätze haben wollte. Tatsächlich waren diese Stiefel dann etwas zu hart. In beide Schuhe habe ich stark dämpfende Einlegesohlen und in die Stiefel zusätzlich einen dämpfenden Fersenkeil eingelegt. Grundsätzlich: ein Schuh sollte sich anfühlen wie ein weicher Pantoffel, wenn man ihn trägt.

Was ich auch beobachtet habe: anfangs habe ich die Stiefel am Schaft eher locker geschnürt, zum Ende hin dann deutlich straffer. Das kann aber auch daran liegen, dass die Schäfte weicher geworden sind.

Socken. Die oft empfohlenen Sportsocken taugen nur für kurze Tragezeiten. Sie enthalten oft viele synthetische Fasern und „pappen zusammen“ im Laufe des Tages. Dann kleben sie ein wenig an den Fußsohlen. Besser waren auf jeden Fall die Wollsocken, die ich mithatte.

Ich hatte einen Schlafsack mit, den ich in der ersten Woche zweimal benutzt habe, als ich bei Bekannten übernachtete. Ich habe ihn aber sehr schnell meine Frau mitgegeben, die mich in Prag besuchte. Ich habe ihn danach kein einziges Mal vermisst. Ich habe immer dafür gesorgt, dass ich für die Nacht ein festes Quartier hatte. Letzteres ist auch wichtig für einen wirklich erholsamen Schlaf.

Perfekt waren für mich Unterhosen und T-shirts von Uniqlo. Die sind aus synthetischem Material und trocknen extrem schnell. Das tagsüber getragene habe ich abends einfach mit in die Dusche genommen, mit Shampoo durchgewaschen und auf einen Kleiderbügel gehangen. Am nächsten Morgen war alles frisch und trocken.

Gewicht. Ich war leider mit deutlich mehr als 12 kg unterwegs. Das ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass ich unterwegs viel fotografiert und geschrieben habe. Ich hatte ein kleines Tablet dabei mit einer angedockten Tastatur. Richtig Masse machen jedoch die zahlreichen Kabel, Ladegeräte, Speichermedien, Akkubank, Essen, Wasser.

Durch einen Tipp eines Seumefreundes hatte ich einen kleinen Regenschirm dabei. Der wiegt nur 100 g und ist nicht sehr groß. Er reicht aber aus, um zu verhindern, dass der Regen zwischen Rücken und Rucksack herunterläuft. Ein Regencape hatte ich nicht dabei, stattdessen eine Regenjacke und eine Regenhose zum Überziehen sowie die erwähnten Gamaschen. Das alles habe ich angezogen, wenn klar war, dass es lange und kräftig regnen wird und vielleicht noch kalter Wind dazukommt, z.B. auf den Höhenzügen des Böhmischen Mittelgebirges. Aber der kleine Regenschirm war perfekt für Nieselregen oder kurze Schauer. Sichtbar wurde dieser Vorteil, als ein Freund mich ein paar Tage begleitete. Eh er mit meiner Hilfe sein Regencape über Kopf und Rucksack gefummelt hatte, war mein Schirm mit einem Klick aufgespannt. Und umgekehrt genauso. Und der Schirm trocknet auch schneller als ein zusammengefaltetes Cape.

Reisezeit, Wetter und Klima

Wenn ich ab und zu mal Schlechtwetterbilder gepostet habe, oder gar klagte, gab es zuweilen die Frage, warum ich denn im September losgegangen bin und nicht im Frühjahr. Das war wohlüberlegt und hat sich auch im Nachhinein als richtig erwiesen. Man darf nicht vergessen, dass ich dreieinhalb Monate unterwegs war. Wenn man nicht gerade durch den Winter oder den Hochsommer läuft, ist klar, dass man irgendeinen Jahreszeitenwechsel mitnimmt. Hinzu kommt, dass man durch verschiedene Klimazonen läuft, mal in der Bergen ist, mal im Flachland, mal an der Küste. Die Idee war, von Norden nach Süden immer in einer Art Herbstwetter zu laufen.

Von den 105 Tagen, an denen ich gewandert bin, hat es an 17 Tagen geregnet, vielleicht an 5 Tagen mit wenig Unterbrechungen geregnet. Es gab aber auch noch sommerliche Hitze an den ersten drei Tagen der Wanderung in Deutschland. Sehr oft konnte ich in T-Shirt und kurzen Hosen laufen, nur ganz selten musste ich mich wirklich warm anziehen, vor allem bei starkem Wind war das geboten. Wäre ich im Frühjahr losgegangen, wäre ich in die Hitze des sizilianischen Frühsommers „hineingewandert“. Jetzt hatte ich den zusätzlichen Vorteil, dass ich mir einen Teil des grauen Berliner Winters ersparen konnte. Und es gab immerzu Obst! Kostenlos an den Bäumen und Reben unterwegs an der Strecke! Erst Äpfel und Birnen, Pflaumen, dann Weintrauben, Kaki und Kiwi und zuletzt Tomaten und Orangen. Das war mir ein Fest!

Schließlich spielt auch das Tageslicht eine Rolle. Wandert man im September los, ist klar, dass die Tage immer kürzer werden. Aber da ich auch weiter nach Süden ging und etwas weiter nach Westen beim Übersetzen nach Palermo, blieb der Sonnenuntergang ab Rom immer um 16.45 h herum konstant. Der Sonnenaufgang fand jeweils um 7.00 h statt. Dann gibt es jedoch in den meisten Quartieren längst noch kein Frühstück.

Nicht zuletzt sind mir auch Probleme erspart geblieben, die es im Ergebnis der Schneeschmelze geben kann. Natürlich riskiert man die Folgen des ein oder anderen Stark- oder Dauerregens zu jeder Jahreszeit. Dann werde kleine Bäche, schmale Täler oder Wiesen schnell unpassierbar. Man sollte also auch unterwegs das Wetter unter diesem Aspekt beobachten.

Schöne Strecken, schlechte Strecken

Zunächst mal ist es relativ, was man als „schön“ bezeichnet. Ich laufe z.B. gern durch Städte oder Siedlungen. Mir ist aufgefallen, dass ich mich nach der Durchquerung einer Stadt freue, wenn ich wieder auf einem Feldweg bin. Und umgekehrt freue ich mich nach der Einsamkeit von Feldern und Wäldern wieder unter Menschen zu sein, Wasser und Essen kaufen zu können. Wo aber würde ich nochmal langwandern wollen:

Das ist der alte Salzpfad über die Höhenzüge neben der Elbe zwischen Usti und Litomerice. Das sind die Höhenzüge des Böhmischen Mittelgebirges mit tollen Ausblicken. Es sind viele Flussauen in der Tschechischen Republik, die nicht verdorben sind. Es ist die Gegend um Znaim, kurz vor der österreichischen Grenze und weiter südlich. Schön war die Strecke von Holledau nach Wien über drei Höhenzüge und den alten Donauarm. Der Semmering-Pass mit seinem Nebel war toll. Schön war die Durchquerung der Planina in Slowenien, die Mastenstraße sowie das Karstgebirge in der Grenzregion vor Triest. Auf dem Canale Brento von Venedig nach Padua bin ich zwar nicht gewandert, aber es war ein tolles Erlebnis, die drei Schlösser/Villen entlang der Route zu besichtigen. Auch von Padua nach Moncelice hat man eine schöne Strecke, weil es immer auf der Krone eines Kanaldeiches entlanggeht mit guter Sicht in die Landschaft. Die Ebene nördlich des Po hat mir gut gefallen, zumal es morgens oft Nebelwetter gab. Gefallen hat mir der Küstenweg südlich von Rimini. Die Via Appia aus Rom heraus ist faszinierend, wie auch weitere Abschnitte dieser Straße, die ich gegangen bin.. Viele kleine Städtchen sind interessant zu durchwandern. Sizilien ist landschaftlich sehr schön, allerdings extrem vermüllt.

Schlimm waren bestimmte Etappen mit stark befahrenen Straßen. Solche Strecken ohne Fußwege, die eigentlich für Fußgänger nicht wirklich passierbar sind, gab es außer in Deutschland leider in allen Ländern, durch die ich kam. Am schlimmsten war das in Italien. 100 km entlang der Via Emiglia von Ferrara nach Rimini muss ich auch nicht noch mal gehen. Gespart habe ich mir auch die Via Appia von Latina nach Terracina, stark befahren, schnurgerade durch flaches, dünn besiedeltes Gelände. Es regnete stark, Trampen war sinnlos, und keine Quartiere waren zu finden.

Grundsätzlich kann man aber sagen: Europa ist unglaublich schön und vielfältig. Wo man in den USA oder in Argentinien (von Russland rede ich besser erst gar nicht) hunderte Kilometer über schnurgerade Straßen durch die Ödnis fahren muss, ist hier alles in fußläufiger Entfernung in kürzester Zeit mit einfachsten Mitteln zu bestaunen. Das ist ein Wert, den man sich ab und zu mal bewusst machen sollte.

Finanzielles

Ich habe pro Tag im Durchschnitt ca. 50 € für die Übernachtung ausgegeben. Das geht gewiss noch billiger, wenn man z.B. in Hostels übernachtet. Aber auf ein Bett im Schlafsaal hatte ich keine Lust. Etwa 30 € braucht man täglich für Essen. Die ganze Reise hat also ca. 10 TEUR gekostet. Das hört sich viel an, verteilt sich jedoch auf dreieinhalb Monate, entspricht also fast den normalen Lebenshaltungskosten. Wenn man also die eigene Wohnung untervermietet, oder – so wie ich – mehrere Jahre spart, ist so eine Reise kein Luxus. Das Problem ist eher, die freie Zeit dafür zu organisieren. Auch dieses Thema habe ich mit einem Jahr Vorlauf organisieren können. Nicht zuletzt konnte ich unterwegs remote arbeiten, war also erreichbar und handlungsfähig, zumal es im schönen Europa für den Mobilfunk Rooming und fast überall WLAN gibt.