Tag 27 der Reise, von Tattendorf nach Wiener Neustadt, 18 km

27.09.2022

Nein, Wiener Neustadt hat nur noch entfernt etwas mit Wien zu tun, es ist die was weiß ich wievielte Auflage der Vorstädte.

Vom Dinopark ging es im schönsten Pieselregen durch das gastronomische Nichts. Erst nach ca. 12 km und gut drei Stunden Regen fand ich in Sollenau eine Bäckerei, die mir heißes Wasser für einen Tee gab. Zuvor habe ich in einem der Billa-Märkte, die es in fast jedem Dorf gibt (Respekt!), eingekauft. Bananen, Datteln, Nüsse, Laugenecken. Und eine Käsestange mehr und eine Banane extra, denn am Eingang stand ein Tippelbruder unter dem Vordach in Sandalen, kurzer Hose, zerzaustem Bart, Turnbeutel. Dem gab ich eine Banane und eine der Käsestangen. Er strahlte, war definitiv noch keine vierzig. „Wo kommst Du her?“ Schweigen. „Wo willst du heute noch hin?“ Schulterzucken. „Willst Du nach Wien?“ Schulterzucken. Bei all dieser Wortlosigkeit strahlte er mich mit hellen Augen an. Eine Frau steckt ihm 5 € zu. Er strahlt und schweigt. Hätte er nicht den ganze Bart voller Essen gehabt, hätte ich um ein Porträt gefragt. So habe ich nur aus der Ferne, wie zum Abschied ein Bild von der Kaufhalle im Regen gemacht. Wer genau hinsieht…

Ein Porträt durft ich dann aber beim Bäcker machen, von einem alten Herrn, 83, mit dem ich ausgiebig übers Reisen sprach, d.h. er erzählte mir, wo er schon überall war…

Auf dem Weg nach Wiener Neustadt querte ich den von Seume erwähnten Kanal Wien-Wiender Neustadt:

„Die Soldaten waren auf Arbeit an dem Kanale, über den ich gestern gegangen war, und der, wie mir der Alte bedeutend zweifelhaft sagte, bis nach Triest geführt werden solle. Vor der Hand wird er nur die Steinkohlen von Neustadt nach Wien bringen.“

Ich ging sogar über eine historische Bogenbrücke, vielleicht Seumes Weg, denn an ihren Abfahrten verblieben Stummel einer alten Straße, kenntlich durch das obligatorische Kruzifix, die an der einen Seite durch eine Schnellstraße und an der anderen durch das Gelände eines Sägewerks abgeschnitten waren. Zum Kanal und dessen Bau unbedingt mal den Wikipedia-Artikel lesen. Der BER war ein Glanzstück angesichts dieses Desasters. Ganz sicher auf Seumes Weg war ich jedoch dann in Theresienfeld, welches bei Seume indirekt Erwähnung findet:

„Als die Nacht einbrach, blieb ich in einem Dorfe zwischen Günselsdorf und Neustadt. So wie ich in die große Wirtsstube trat, fand ich sie voll Soldaten, die ihre Bacchanalien hielten. Die Reminiszenzen der Wachstuben, wo ich ehemals Amts wegen eine Zeitlang jede dritte Nacht unter Tabaksdampf und Kleinbierwitz leben mußte, hielten mich, daß ich nicht sogleich zurückfuhr. Ich pflanzte mich in einen Winkel am Ofen, und ließ ungefähr dreißig Wildlinge ihr Unwesen so toll um mich her treiben, daß mir die Ohren gellten.“

Vielleicht hielt sich Seume sogar in einem Wirtshaus auf, welches mir auffiel, wegen einer Tafel, dass darin Napoleon II. König von Italien (Bruder Napoleons) im Jahre 1816 mit seiner Mutter zusammentraf. Das Gasthaus „Petri“ stammt wohl aus der Zeit, als Theresienfeld durch Kaiserin Theresa im Jahr 1765 gegründet wurde, und ist leider verlassen und halb verfallen. Die Straße zwischen Günselsdorf und Wiener Neustadt ist jedenfalls schnurgerade und wird wohl durch Seume benutzt worden sein.

Ich kehrte wenig später auf einen Döner ein im Gewerbegebiet an einer großen Kreuzung mit großen Parkplätzen. Döner habe ich schon in Wien gegessen. Nicht aus Heimweh, sondern weil ich so die vitaminlosen Fleischberge in Soßenflut – ja, das ist die österreichische Küche in der Provinz! Sorry!  – vermeiden kann.

Und tatsächlich verbringe ich die Nacht jetzt in einem der Gewerbegebiete in einem Hotel, an dem ich fast vorbeigelaufen wäre, weil es aussieht wie eine alte Fabrik. Es ist warm, es gibt heißes Wasser für einen Tee, eine Bar mit alkoholfreiem Bier, und das zum Preis des Schlaffasses. Passt.

Morgen knacke ich die 700 auf der Kilometeruhr. Und es soll nicht regnen. Aber das Wetter wird kühl und regnerisch bleiben. So sehe ich dem Semmering-Pass (984 m) mit Skepsis entgegen. Seume überquerte ihn im tiefen Schnee.

Die Tour auf Komoot: https://www.komoot.de/tour/937684792?ref=wtd

Die Schlaffässer bei Tageslicht (und Regen).
Er soll den Eigentümer der Schlaffässer fressen!
Altes Haus in Günseldorf. Hier wird Seume langgegangen sein.
Felder im Regen
Alte Brücke am Kanal.
Der Vielgereiste in der Bäckerei.
Gasthaus Petri in Theresienfeld an Seumes Straße.
Best Döner in Wiener Neustadt.

No, Wiener Neustadt only has something remotely to do with Vienna, it’s the I don’t know how many editions of the suburbs.

From Dinopark, the route went through gastronomic nothingness in the most beautiful drizzle. Only after about 12 km did I find a bakery in Sollenau that gave me hot water for a cup of tea. Before that I did some shopping in one of the Billa markets that are in almost every village (respect!). Bananas, dates, nuts, pretzel corners. And one more cheese stick and an extra banana, because at the entrance there was a tipper brother standing under the canopy in sandals, short trousers, dishevelled beard, gym bag. I gave him a banana and one of the cheese sticks. He was beaming, definitely not yet forty. „Where are you from?“ Silence. „Where are you going today?“ Shoulder shrug. „Do you want to go to Vienna?“ Shoulder shrug. With all this wordlessness, he beamed at me with bright eyes. A woman slips him €5. He beams and is silent. If he hadn’t had a beard full of food, I would have asked for a portrait. So I only took a picture of the department store in the rain from a distance, as if to say goodbye. If you look closely…

But I was allowed to take a portrait at the bakery, of an old man, 83, with whom I talked extensively about travelling, i.e. he told me where he had already been everywhere…

On the way to Wiener Neustadt, I crossed the Wiener Neustadt – Vienna canal mentioned by Seume:

„The soldiers were at work on the canal over which I had passed yesterday, and which, as the old man told me with considerable doubt, was to be carried as far as Trieste. Before hand, it will only bring the hard coal from Neustadt to Vienna.“

I even walked over a historic arched bridge, perhaps Seume’s way, because at its exits remained stumps of an old road, recognisable by the obligatory crucifix, cut off on one side by an motorway and on the other by the site of a sawmill. Read the Wikipedia article on the canal and its construction. The BER was a showpiece in the face of this disaster. However, I was definitely on Seume’s path in Theresienfeld, which is indirectly mentioned in Seume:

„When night fell, I stayed in a village between Günselsdorf and Neustadt. As I entered the large inn, I found it full of soldiers holding their bacchanalia. The reminiscences of the guardrooms, where I had to live for a while every third night under tobacco smoke and small beer jokes, kept me from going back immediately. I planted myself in a corner by the stove, and let about thirty wildlings do their mischief around me so madly that my ears rang.“

Perhaps Seume even stayed in an inn that caught my eye because of a plaque that said Napoleon II, King of Italy (Napoleon’s brother), was in it. King of Italy (Napoleon’s brother) met his mother there in 1816. The „Petri“ inn probably dates from the time when Theresienfeld was founded by Empress Theresa in 1765, and is unfortunately abandoned and half-ruined. In any case, the road between Günselsdorf and Wiener Neustadt is dead straight and will probably have been used by Seume.

A little later I stopped for a kebab in the commercial area at a large intersection with large car parks. I’ve already eaten kebabs in Vienna. Not out of homesickness, but because I so enjoyed the vitaminless mounds of meat in a flood of sauce – yes, that’s Austrian cuisine in the provinces! Sorry! – can be avoided.

And indeed, I now spend the night in one of the industrial estates in a hotel that I almost walked past because it looks like an old factory. It’s warm, there’s hot water for a cup of tea, a bar with non-alcoholic beer, and all for the price of the sleeping barrel. Fits.

Tomorrow I’ll crack 700 on the odometer. And it’s not supposed to rain. But the weather will remain cool and rainy. So I look forward to the Semmering Pass (984 m) with scepticism. Seume crossed it in deep snow.

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