Tag 6, der Reise, von Usti nach Keblice, 32 km

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Jan hatte mir geraten, nicht den Weg an der Elbe zu nehmen, sondern die alte Salzstraße über das böhmische Mittelgebirge. Seume wird wohl auch so gegangen sein, denn es ist ein alter Handelsweg, auf dem früher mit langen Kolonnen von Lastpferden und Eseln Salz aus Deutschland, vor allem aus der Region um Halle, mit Fässern und Säcken transportiert wurde. Es ist erstaunlich welche Gefälle dieser Weg an verschiedenen Stellen aufweist. Aber warum nahm man den Weg über die Berge? Das Tal der Elbe ist hier schmal und felsig. vermutlich hat der Fluss sein Bett sehr oft verschoben, so dass es mühsam war, neben dem Fluss Straßen zu unterhalten.

Zunächst musste ich jedoch Usti durchqueren, eine Stadt, in der der sozialistische Brutalismus schwer gewütet hat. Es gibt kein wirklich attraktives Stadtzentrum. Gleich beim Bahnhof ist eine riesige Shopping Mall, von der eine Seilbahn auf den Hügel führt, den ich nach dem Verlassen der Stadt erklimmen musste. Leider habe ich das mit der Seilbahn zu spät bemerkt. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass eine Seilbahn aus einer Shoppingmall startet. Ich musste mich aber nicht ärgern, denn an der Bahn wurden gerade Wartungsarbeiten durchgeführt. So hatte ich denn meine erste Pause an einem alten Ausflugslokal auf dem Berg neben der Stadt. Von unten brandete Autolärm nach oben, und aus einem Kraftwerk war ein unaufhörliches lautes Zischen zu hören.

Dann ging es weiter bergauf an Kleingärten und einzelnen Häusern vorbei, abwechselnd durch den Wald und über die Felder. Ich vermisste die Obstbäume, die mir bei auf den Wegen zwischen Grimma und Dresden noch Abwechslung und Erfrischung spendeten. Obwohl das Klima milder und feuchter ist, gibt es so gut wie keine Obstbäume an den Wegen, bestenfalls in Gärten hinter den Zäunen. Erst kurz vor Lovosice habe ich mich an Weinreben ein wenig bedient.

So war es denn ein Tag mit anstrengenden Auf- und Abstiegen, zusammen ungefähr 650 Höhenmeter, was bei der Hitze nicht einfach war. Hitze das sind bei mir inzwischen 24 Grad, denn der Rucksack wärmt wie eine zusätzliche Jacke. Hinzu kommt die Notwendigkeit, sich vor der Sonne zu schützen. Das geht leider am effektivsten mit Mütze und langärmliger Kleidung. Doch selbst wenn ich nur im T-Shirt und mit aufgekrempelten Hosenbeinen laufe, ist mir das oft zu warm. Während ich in den vergangenen Tagen im Durchschnitt mit 5,5 km pro Stunde gelaufen bin, kam ich gestern nur auf 4 km/h. Das war nach dem Tag durch das Erzgebirge die zweite Bergwertung. Die restliche Strecke bis Prag ist angenehm flach.

Aber es war wieder eine faszinierende Landschaft. Natürlich läuft man bei so langen Strecken auch das ein oder andere Stück Asphaltstraße. Aber die meiste Zeit ging es über schmale Wanderwege durch die Hügel, auf Feldwegen über schöne Wiesen und ein Stück tatsächlich entlang der Elbe auf einem Treidelweg.

Am späten Nachmittag fing es an zu regnen. Ich stand gerade unter einer Eisenbahnbrücke, so dass ich ein wenig abwarten und die Regenjacke anziehen konnte. In einem zum Glück nur leichten aber dennoch stetigen Tröpfeln bin ich dann einen wildromantischen Pfad auf dem Felsengebirge am Rand des Flusstals unter Buchen und Eichen gewandert. Die Bäume haben das meiste vom Regen abgehalten, so dass meine Schuhe erstaunlich trocken blieben.

Die Mühen des Tages wurden belohnt mit schönen Ausblicken auf die Elbe, die hier zum Teil ganz breit ist, weil es Staustufen gibt. An einer Stelle entdeckte ich vom Ufer aus sogar Seerosen.

Das Gebirge hier besteht nicht aus Sandstein, sondern ist vulkanischen Ursprungs. Humboldt soll wohl hier auch einige Reisen unternommen haben für geologische Untersuchungen. Der Schotter auf den Wegen ist meistens schwarz von Basalt und Granit.

Auf den letzten Kilometern bis zu meinem Tagesziel, dem kleinen Ort Keblice, hörte der Regen auf und es gab wunderbares Licht. Ein riesiges Rotkohlfeld floss förmlich mit dem Himmelblau zusammen. Kaum hatte ich den Ortseingang erreicht, kam mir schon mein Freund Ivan N. mit seinem schicken Elektroflitzer entgegen.

Ivan zählte zu den ersten neu gewonnenen Freunden in Berlin, als wir 2004 gerade in diese Stadt gezogen sind. Ivan ist Architekturfotograf und sprüht vor Energie, wenn er es sich in den Kopf gesetzt hat, ein Projekt zu realisieren. Seit vier Jahren ist er darum bemüht, die alte Festung Theresienstadt, die auch eine schlimme Geschichte als von den Nazis eingerichtetes Ghetto hat, vor dem Verfall zu retten. Theresienstadt leidet unter einem akuten Bevölkerungsrückgang, viele Gebäude stehen leer. Ivan hat das Ziel, ein richtiges Stadtentwicklungskonzept zu entwerfen. Gerade heute hatte er ein vielversprechendes Gespräch mit Vertretern der tschechischen Regierung.

Das Licht des Abends reichte gerade aus, um mit mir noch eine kurze Führung zu machen. Ich war zuvor noch nicht in Terezin. Dann waren wir essen, und dann bekam ich Ivans Wohnung als Quartier, er schlief in seinem Studio.

Am Morgen haben wir zusammen gefrühstückt und wären aus dem Reden und Pläneschmieden fast nicht rausgekommen.

Seume war nachweislich nicht in Theresienstadt. Aber wer auch immer dem von mir vorgeschlagenen Seumeweg folgt, sollte sich Zeit nehmen die alte Festung mit ihren verschiedenen Museen zu besichtigen. Und ja, auch das, was an das Ghetto und all die Verbrechen erinnert.

Und hier die Tour auf Komoot.

Im Stadtzenztrum von Usti
Blick auf Usti
Blick vom alten Salzhandelsweg auf das Elbtal südlich von Usti
Auf den Höhen des bömischen Mittelgebirges mit alten Vulkankegeln im Hintergrund
Vom Plateau auf die Elbe
Mittagspausenansicht von der Terasse eines Restaurants bei Dubice
Treidelweg am Ufer der Elbe
Von den Elbhängen ins Tal kurz vor Lovosice
Straße in Lovosice, ein 5 km-Bild
Garagen am Stadtrand von Lovosice
Logistikzentrum östlich von Lovosice
Kurz vor Keblice
Kohlfeld bei Keblice

6 September, Day 6, 32 km

Jan had advised me not to take the route along the Elbe, but the old salt road over the Bohemian low mountains. Seume will probably have gone the same way, because it is an old trade route on which salt from Germany, especially from the region around Halle, used to be transported in long columns of packhorses and donkeys with barrels and sacks. It is amazing what gradients this path has at various points. But why did they take the route over the mountains? The valley of the Elbe is narrow and rocky here. presumably the river shifted its bed very often, so it was tedious to maintain roads next to the river.

First, however, I had to cross Usti, a town where socialist brutalism has raged heavily. There is no really attractive city centre. Right by the train station is a huge shopping mall, from which a cable car leads up to the hill I had to climb after leaving the city. unfortunately, I noticed too late about the cable car. I just couldn’t imagine a cable car taking off from a shopping mall. But I didn’t have to get angry, because the cable car was undergoing maintenance work. So I had my first break at an old excursion pub on the mountain next to the city. From below, the noise of cars roared upwards, and an incessant loud hissing could be heard from a power station.

Then we continued uphill past allotments and individual houses, alternately through the forest and across the fields. I missed the fruit trees that used to give me variety and refreshment on the paths between Grimma and Dresden. Although the climate is milder and wetter, there are almost no fruit trees along the paths, at best in gardens behind fences. Only shortly before Lovosice did I help myself a little to vines.

So it was a day of strenuous ascents and descents, a total of about 650 metres in altitude, which was not easy in the heat. Heat that is now 24 degrees for me, because the backpack warms like an extra jacket. Added to this is the need to protect oneself from the sun. Unfortunately, the most effective way to do that is with a cap and long-sleeved clothing. But even when I walk in just a T-shirt and with my trouser legs rolled up, it’s often too warm for me. While I’ve been running at an average of 5.5 km per hour in the past few days, I only managed 4 km/h yesterday. That was the second hill climb after the day through the Erz Mountains. The rest of the route to Prague is pleasantly flat.

But it was another fascinating landscape. Of course, with such long distances you also run the one or other piece of asphalt road. But most of the time it was on narrow footpaths through the hills, on dirt tracks across beautiful meadows and a bit actually along the Elbe on a towpath.

In the late afternoon it started to rain. I was just standing under a railway bridge, so I could wait a bit and put on my rain jacket. In what was fortunately only a light but steady drizzle, I then hiked a wildly romantic path on the rocky mountains at the edge of the river valley under beech and oak trees. The trees kept most of the rain off, so my shoes stayed surprisingly dry.

The day’s efforts were rewarded with beautiful views of the Elbe, which is partly quite wide here because there are barrages. At one point I even discovered water lilies from the shore.

The mountains here are not made of sandstone, but are of volcanic origin. Humboldt is said to have made several trips here for geological research. The gravel on the paths is mostly black from basalt and granite.

On the last few kilometres to my destination for the day, the small village of Keblice, the rain stopped and there was wonderful light. A huge red cabbage field literally flowed together with the sky blue. I had hardly reached the entrance to the village when my friend Ivan N. met me in his fancy electric car.

Ivan was one of the first new friends I made in Berlin when we moved to the city in 2004. Ivan is an architectural photographer and is bursting with energy when he sets his mind to realising a project. For the past four years he has been working to save the old Terezín fortress, which also has a terrible history as a ghetto set up by the Nazis, from decay. Terezín is suffering from an acute population decline, with many buildings standing empty. Ivan’s goal is to design a proper urban development concept. Just today he had a promising discussion with representatives of the Czech government.

The light of the evening was just enough to take me on another short tour. I had not been to Terezin before. Then we had dinner, and then I got Ivan’s flat as quarters, he slept in his studio.

In the morning we had breakfast together and almost didn’t get out of talking and plotting.

Seume was demonstrably not in Theresienstadt. But whoever follows the Seume route I suggested should take time to visit the old fortress with its various museums. And yes, also the one that commemorates the ghetto and all the crimes.